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TOD EINER POLIZISTIN

11. Dezember 2000
Datum: Montag, 11. Dezember 2000

Am 11. Dezember 2000 fand in der Münchner Seidl-Villa eine viel beachtete Veranstaltung zum Thema „Tod einer Polizistin. Die Geschichte eines Skandals“ statt. Veranstalter waren die Humanistische Union München und der Hoffmann und Campe Verlag, in dem vor kurzem  ein Buch mit dem selben Titel erschienen ist. Die Veranstaltung fand in Form einer Podiumsdiskussion mit anschließender offener Diskussion statt.

Der Autor des Buches, Dieter Schenk, selbst ehemaliger Kriminalbeamter und zuletzt Kriminaldirektor beim BKA, stellte sein Buch und das Aufsehen erregende Thema der Münchner Öffentlichkeit vor und diskutierte darüber mit drei weiteren Podiumsteilnehmern, Margit Braun, der Mutter der jungen Polizistin Silvia Braun, die sich im Februar 1999 auf dem Weg zum Dienst in der Münchner Polizeiinspektion 14 erschossen hat, Dr. Thomas Etzel, der Rechtsanwalt der Hinterbliebenen Silvia Brauns, und Wolfgang Jandke, Polizist in München und wie Dieter Schenk Bundesvorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten. Jennifer Clayton-Chen sprang als Moderatorin für Tim Hering ein, der das Thema aufgegriffen und die Kontakte geknüpft hatte, am betreffenden Abend jedoch leider verhindert war. Die hochkarätige Besetzung des Podiums spiegelte sich im überaus großen Interesse der Medien wider, die mit zwei Fernsehteams und mehreren Radioreportern vertreten waren und nicht nur die gesamte Veranstaltung aufzeichneten, sondern alle vier Diskutanten vor und nach der Veranstaltung umlagerten.

Der Zeitpunkt der Veranstaltung war allerdings auch geschickt gewählt, denn drei Tage später fand in München der Zivilprozess gegen den ehemaligen direkten Vorgesetzten der Silvia Braun statt, dem die Hinterbliebenen im Zivilprozess gezieltes Mobbing gegen seine Untergebene vorwarfen, durch das diese in den Selbstmord getrieben worden war.  Der schreckliche Vorfall und der damit verbundene Vorwurf an die Münchner Polizei hatte die Münchner Öffentlichkeit von Anfang an, und auch während des im Jahr 2000 durchgeführten Strafver-fahrens stark beschäftigt.

Es würde den Rahmen dieses notwendigerweise kurzen Berichts sprengen, die Spannweite der Diskussion auch nur annähernd wiedergeben zu wollen. Deshalb werden nachfolgend lediglich ein paar Schlaglichter darauf geworfen.

Dieter Schenk verstand es, die Hauptthese seines Buches in persönlich angenehmer, aber sachlich harter Form zusammenzufassen, dass es sich nämlich bei den darin beschriebenen, real stattgefundenen, im Buch zu einem fiktiven Fall zusammengefassten Selbstmorden von vier jungen deutschen Polizistinnen nicht um bedauernswerte Einzelfälle handelt, die ihre Ursache, wie von der Polizei behauptet, vor allem in der psychischen Labilität der Opfer hatten, sondern um eine notwendige Folge struktureller Probleme bei der Polizei. Dazu gehören laut Schenk die Beamtenhierarchie, der Dienstweg, das straf- und dienstrechtliche Verbot, polizeiinterne Verfehlungen öffentlich zu machen, sowie das Fehlen einer unabhängigen Kontrolle sowie unabhängiger Vertrauenspersonen (ähnlich der oder des Wehrbeauftragten). Diese Struktur führt laut Schenk vielfach zu einem nicht hinnehmbaren Corpsgeist und zur Unterdrückung und Ausgrenzung bis hin zur Vernichtung „unerwünschter“, also auch kritischer Kolleginnen und Kollegen. Darunter haben vor allem Frauen zu leiden, die sich dem maskulinen Corpsgeist nicht widerstandslos unterordnen wollen. Aus dieser Ausgangssituation kann dann die tödliche Spirale der Unterdrückung und Stigmatisierung des Opfers entstehen, aus der das Opfer wegen seiner Sündenbockrolle keinen Ausweg mehr sieht. Alle in dem „Roman“ enthaltenen Tatsachen sind gründlich recherchiert und werden durch den umfangreichen Dokumentenanhang bestätigt. Wie Dieter Schenk sagte: Wem der Roman zu fiktiv erscheint, findet durch den Dokumententeil bestätigt, dass es sich beim Mobbing um ein nicht zu leugnendes, gravierendes Problem der Polizei handelt.

Herrn Schenks These wurde auch durch Herrn Jandke, einem Kenner speziell der Münchner Polizeiszene, mit deutlichen Worten bestätigt. Dieser prognostizierte auch, dass es zu weiteren schweren Mobbing-Fällen bei der Polizei  kommen werde, wenn sich die verkrusteten und zutiefst undemokratischen Strukturen nicht änderten, wofür es allerdings keine Anhaltspunkte gebe. Aus politischen Motiven eingesetzte Mobbing-Kommissionen und ähnliche Aktionen hätten lediglich der allgemeinen Beruhigung gedient und seien, wie nicht anders zu erwarten,  größtenteils im Sande verlaufen.

Frau Braun, die Mutter der toten Silvia Braun, war der – traurige –  „Star“ des Abends. Dieser Frau, die von sich selbst sagt, sie gehöre zu den „kleinen“ und nicht zu den „studierten“ Leuten, gelang es, ihr Anliegen so ergreifend und überzeugend darzustellen, dass das Publikum an ihren Lippen hing und man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Frau Braun schilderte eindringlich, wie ihr anfängliches Vertrauen in die Polizei (auch noch nach dem Selbstmord ihrer Tochter) in eine zunehmend kritische Einstellung und schließlich in aktive Opposition umgeschlagen war, als sie und ihr Mann bemerkten, dass der Fall vertuscht, Tatsachen verdreht und Verantwortung geleugnet wurden, ja sogar, dass  auch sie in die Sündenbockrolle gedrängt wurden. (Im Brief des Münchner Polizeipräsidenten Dr. Roland Koller, in dem eine Teilnahme an der Veranstaltung vom 11. Dezember  abgesagt wurde, hatte es bezeichnenderweise geheißen, „das Verhalten der Mutter“ habe „vieles erschwert“). Frau Braun betonte, ihr und ihrem Mann gehe es ausschließlich darum, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und dass Maßnahmen ergriffen werden, um zukünftige Fälle wie den ihrer Tochter zu verhindern, nicht um eine allgemeine Verteufelung der Polizei.

Rechtsanwalt Etzel erläuterte zunächst die strafrechtlichen Grundlagen, wobei es im deutschen Strafrecht zwar keinen „Mobbing“-Tatbestand, dafür aber durchaus andere geeignete Tatbestände gebe, eine Anklage und Verurteilung aber meist an Mangel an Beweisen scheitere. Er unterstütze die Familie Braun in ihrem Bestreben, die ihnen nach dem Gesetz zustehende materielle Wiedergutmachung zu erhalten, wenn schon ihre Tochter nicht mehr zum Leben erweckt werden könne. Wenn es zu einer zivilrechtlichen Verurteilung komme, wäre es seines Wissens das erste Mal in einem derartigen Fall. Die Münchner Zivilgerichte hätten somit eine historische Chance, Rechtsgeschichte zu schreiben.

Das strafrechtliche Verfahren endete übrigens damit, dass der beschuldigte Haupttäter seinen Einspruch gegen einen Strafbefehl wegen Beleidigung zurückgenommen hat. Das zivilrechtliche Verfahren auf Schadensersatz und Schmerzensgeld dauert an.

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