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Tiefes Bayern: Der CSU-Staat beim Selbst­schutz

02. Februar 2012
Datum: Donnerstag, 02. Februar 2012
Tiefes Bayern: Der CSU-Staat beim Selbstschutz

Tiefes Bayern: Der CSU-Staat beim Selbstschutz

Im Sommer letzten Jahres verstarb G., der in vielen Initiativen und Arbeitszusammenhängen der linken Szene Münchens aktiv gewesen war. Die politischen Kollegen und Freunde bereiteten G., der ansonsten einsam gelebt hatte, ein würdiges Begräbnis (die mlb berichteten).

Bei der traurigen Aufgabe der Wohnungsauflösung stellte sich dann heraus, dass G. über viele Jahre hin Diskussionen und Personen, mit denen er zusammenkam, ausgeforscht hatte. Die Veranstaltung, zu der die Humanistische Union und der ver.di „Einladerkreis Rettet die Grundrechte gegen den Notstand der Republik“ eingeladen hatte, bot die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit diesem in vieler Hinsicht bedrückenden Vorfall. Tief ins persönliche gehende Enttäuschung und Furcht waren zu verarbeiten.

Hedwig Krimmer traf es richtig, als sie sichtlich bewegt darauf bestand, dass es ihr um G. leid tue. Damit hatte die Frage, wie G. in diese trübe Lage kam, für den Abend ihr Bewenden. Wichtig war auch, dass der Nachlass nicht vermarktet wird, sondern in verantwortlichen Händen linker Juristen gesammelt und gesichtet dazu dienen kann, die Menschen zu beraten und auch zu verteidigen, die sich der Behörde ausgeliefert fühlen. Angelika Lex, Anwältin und ehrenamtliche Verfassungsrichterin, sagte darüber hinaus klipp und klar, dass das vorgefundene Material keinen vernünftigen Zweifel daran zulasse, dass G. in geheimdienstlichen Auftrag gehandelt hatte. Die Erörterung, zu der auf dem von Ulrich Fuchs moderierten Podium Ralf Gössner, Angelika Lex, Dr. Klaus Hahnzog und Hedwig Krimmer Impulsreferate hielten, lief dann auf die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes hin. Da jeder weiß, dass eine Landtagsmehrheit dafür nicht im Raume steht, kam die Rede auf die Möglichkeit einer Abschaffung per Volksentscheid. Der in vielen Volksentscheiden erfahrene Dr. Hahnzog konnte dem bei aller Sympathie kaum Aussichten einräumen. Frau Tausendfreund, die als Landtagsabgeordnete die Grünen im parlamentarischen Kontrollgremium vertritt, konnte, gefesselt durch die ihr auferlegte Schweigepflicht, nicht darstellen, welche Möglichkeiten dieses Gremium hat, Geheimdienstübergriffe durch Einsatz in diesem Gremium wenigstens etwas einzudämmen. – Inzwischen zeigt die Positionierung der CSU, namentlich ihres Generalsekretärs Herrn Dobrindt, dass es sich bei dem Münchner Überwachungsskandal nicht um einen Ausrutscher oder punktuellen Übereifer gehandelt hat, sondern eine politische Strategie vorliegt, die im Zentrum der CSU Rückhalt hat.

Der Gegenstand der Überwa­chung: Die linke Szene

Wer Szene hört, weiß gleich wer gemeint ist, die politische Qualität des Zusammenhangs ist aber viel schwieriger zu verstehen. Was interessiert an diesen langwierigen Meinungsbildungsprozessen den Geheimdienst? Ähnlich den Clubs und Bildungsvereinen, die in der Zeit des Übergangs vom Absolutismus zur bürgerlichen Demokratie blühten, um über aktuelle Missstände und eine bessere Zukunft zu reden, finden sich auch heute, vor allem in den großen Städten, eine Vielzahl miteinander verflochtener, wetteifernder (und auch eifernder) Clubs und Vereine, die allgemeine politische Ziele verfolgen. Waren damals „Aufklärung“ und „Bildung“ die Stichworte, ist es heute das Label „Links“. Die linke Szene besteht neben dem Parteibetrieb, der durch die Auslese von Kandidaten und Wahlkampf geprägt ist, sie besteht neben dem Wissenschaftsbetrieb, in dem Laufbahn und Karriere zählen, sie steht auch neben der Gewerkschaftsbewegung, neben dem Kulturbetrieb, sie steht überall daneben und ist überall dabei, so wie der moderne Mensch, der in den Institutionen und ihren Zwängen leben muss und trotzdem auf sein unabhängiges Urteil Wert legt, das sich in einer freien Diskussion bilden kann. In diesen Reibungen und Reibereien entstehen politische Ideen, werden zur Mode, verschwinden wieder, tragen Aktionen und werden für die institutionalisierte Politik bedeutsam. Was man so leichthin „Szene“ nennt beschreibt einen Kernbereich der politischen Willensbildung, der Demokratie, der auf die Freiheit der Information, der Versammlung, des Wortes, der Demonstration angewiesen ist. Was liegt vor, wenn der Freistaat Bayern durch seine nachrichtendienstlichen Behörden Meinungsbildungsprozesse beobachten lässt?

Ziel: Stabi­li­sie­rung einer partei­po­li­ti­schen Mehrheit

Wenn wir verwundert feststellen müssen, dass der Freistaat Bayern Meinungsbildungsprozesse der linken Szene Münchens aufwändig detailliert und ausufernd überwachen lässt, fragt sich, wer mit den gewonnenen Erkenntnissen etwas anfangen kann und auch: was. Sinnvoll wird dergleichen im Kontext einer parteipolitisch inspirierten Niederhaltungsstrategie. Zum Beispiel: Linke Diskussion findet zwar oft im Abgehobenen statt, einen Ort braucht sie trotzdem, und an diesem Punkt ist sie auf öffentliche Anerkennung angewiesen. In regelmäßigen Abständen versucht rechte Parteipolitik Orte wie das EineWeltHaus oder das Kafe Marat aus der Welt zu schaffen und regelmäßig sind dabei unüberprüfbare, mit geheimdienstlichen Methoden gewonnenen „Erkenntnisse“ bedeutsam. Derartige Aktionen haben nichts mit dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung zu tun, sie dienen der Stabilisierung einer parteipolitischen Mehrheit. Das ist ein haarsträubender, außerhalb der Verfassung liegender Einsatz, der verständlich macht, warum fortschrittliche Juristinnen und Juristen diesen Teil des Staatsapparates für entbehrlich halten, es würde sich aber auch erklären, warum gerade im Argument schwächelnde Politiker der großen Mehrheitspartei, Herr Dobrindt bietet ein gutes Beispiel, dies nicht zulassen werden.

Den Partei-­Staat zivili­sieren

Der Einsatz von staatlichen Mitteln zum Meinungskampf war in der alten CSU etwa des Franz Josef Strauß eine Selbstverständlichkeit. Inzwischen hat sich die öffentliche Meinung weiter entwickelt. Die meisten Menschen denken, dass sich die demokratischen Parteien einem Wettbewerb stellen müssen. Für den Einsatz von Behördenmacht, im Parteienstreit, noch dazu im Zusammenspiel mit Geheimdiensten, gibt es nur noch wenig Beifall. In einer Situation, in der die Abschaffung der fraglichen Behörde nicht drin ist, wäre gerade angesichts des beginnenden Landtagswahlkampfes politische Ansätze interessant, geeignet, die Gefahr, die von dieser Behörde ausgeht, einzudämmen.

… Auswüchse beschneiden

Es wäre z.B. wichtig auszuloten, ob die ausufernde Überwachung und Erfassung offensichtlich in keiner Weise gegen die Verfassung gerichteter Bestrebungen gesetzlich zulässig war. Irgendjemand hat G. gesteuert. Kann ein Beamter eine Hilfskraft wirklich zum Ausspähen x-beliebiger Bürger einsetzen? Dass es Personen geben kann, die in unglücklichen Verhältnissen verfangen, ums Geld oder um Schonung vor strafrechtlicher Verfolgung willen sich von einer Amtsperson lenken lassen, ist eine Sache. Aber zu welchen Taten darf eine Amtsperson solche Menschen anstiften? Es ist gut möglich, dass der Einsatzleiter des G. zu weit gegangen ist. Das wäre eine Frage an das parlamentarische Kontrollgremium. Wie sehen überhaupt die Einsatzrichtlinien aus? Wer darf bezahlt werden und wofür? Alle Welt weiß, dass Bundes- und Landesamt für Verfassungsschutz auf diesem Wege zur Finanzierung der NPD beitragen und dass gerade das zu Schwierigkeiten im Verbotsverfahren führt. Gibt es keine Möglichkeit, diesen Teil des Haushalts des Innenministeriums gesondert zur Debatte zu stellen und – wer weiß – zu Fall zu bringen? Die außerdemokratischen Vollmachten von Geheimdiensten erzeugen in der politischen Diskussion einen Nimbus der geheimdienstlichen Allmacht. Die ausufernde Bespitzelung der Münchner linken Szene im Nahbereich und die nicht zu begründende Überwachung der Abgeordneten der LINKEN im fernen Bundestag legen nahe, dass der Zeitpunkt gekommen ist, diese Behörden mit dem Mitteln von Gesetzgebung und rechtlicher Aufsicht zu zivilisieren. Die Versuche der CSU, die Mittel dieser Behörde im Kampf um den Erhalt der Mehrheit zu nutzen, müssen sich nicht auszahlen.

Sie können die Aufzeichnung der Sendung hier nachhören (63 Minuten):

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