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Der Humanist ohne Trennungs­ängste

22. März 2010
Datum: Montag, 22. März 2010

Die Frage on3-radio: Soll ich aus der Kirche austreten?
Ein Beitrag von: on3 Stand: 22.03.2010

Jedes Jahr verlieren die beiden großen Kirchen in Deutschland fast 300.000 Mitglieder. Viele schockt die Kirchensteuer auf dem Lohnzettel, andere stört das starre System. „Soll ich aus der Kirche austreten?“ Wir suchen Antworten.

Von: Markus Otto Köbnik

Um es gleich vorneweg mal zu sagen: Noch müssen sich die Kirchen in Deutschland nicht beklagen. Die beiden großen Konfessionen haben zusammen fast 50 Millionen Mitglieder. Und für viele gibt es gute Gründe, weiter in der Kirche zu bleiben: Jugendgruppen, Zivildienst, kirchliche Krankenhäuser oder die Arbeiterwohlfahrt sind viele gute Argumente. Und Heiraten natürlich. Allein bei den Katholiken werden jährlich rund 50.000 Trauungen mit Gottes Segen geschlossen.

Aber natürlich haben die Kirchen ein Image-Problem. Vor allem die Katholische, und das schon lange bevor täglich neue Fälle von Missbrauch und Misshandlung bekannt wurden. Vielen erscheint das Zölibat genauso unzeitgemäß wie ein Papst, der sich trotz AIDS-Epedemie gegen Verhütung ausspricht. Dabei übersieht man leicht: Aus der Evangelischen Kirche treten Jahr für Jahr mehr Menschen aus als bei den Katholiken. Da helfen auch keine Predigten als Podcasts oder die Bibel in Twitter-Version. Viele glauben einfach nicht mehr.
 

Austritts­grund Kirchen­steuer

Oder sie fangen an, knallhart zu rechnen: Wenn ich in diesen Tage meine Einkommensteuer für 2009 mache, werde ich mir dabei wieder ausrechnen, wie viel Geld mir durch die Lappen geht, nur weil ich ein „rk“ angegeben habe, also das Kürzel für römisch-katholisch. Ein paar hundert Euro werden es sicher wieder sein. Deutschlandweit kommen bei den beiden großen Kirchen pro Jahr rund 10 Milliarden Euro zusammen. 

Der Banker Gottes

Mir war nie ganz klar, wofür dieses Geld eigentlich ausgeben wird. Wieviel Geld steckt die Kirche zum Beispiel in die Renovierung von Gotteshäusern oder neue Priesterroben? Und wie viel in soziale Projekte oder die Jugendarbeit? Wenig geholfen hat mir da ein Brief meines Erzbischofs. Zu seinem Amtsantritt hat Reinhard Marx eine Statistik verschickt: 53 Prozent des Budgets sind Ausgaben für Seelsorge, stand da, 13 Prozent werden für karitative Aufgaben ausgegeben.
Und weil das alles recht abstrakt klingt, habe ich mal genauer nachgefragt – bei Monsignore Klaus Franzl, dem Finanzdirektor des Erzbistums München und Freising. Monsignore Franzl findet, dass er seine Kirchensteuereinnahmen für die richtigen Dinge ausgibt – wie Priestergehälter und soziale Dienste.

Der Humanist ohne Trennungs­ängste

Ganz anders sieht das Felix Grollmann. Der 26-Jährige engagiert sich im Vorstand der Humanistischen Union Südbayern. Seine Organisation setzt sich für Bürgerrechte ein – und für eine stärkere Trennung von Staat und Kirche. Für Felix gehört die Kirchensteuer abgeschafft. Er findet: Wer sozial Schwache unterstützen will, soll sein Geld besser direkt spenden. Die Kirchensteuer ist nur ein Grund für die vielen Austritte. Besonders viele Katholiken verlassen die Kirche, weil ihnen der Umgang mit Sexualität zu verkrampft ist, das Zölibat zu altmodisch, die Strukturen zu starr oder ihnen die Gleichberechtigung von Frauen fehlt.

Der Widerstand gegen diese Strukturen kommt nur langsam voran. Seit 1996 gibt es den Zusammenschluss „Wir sind Kirche“. Sie sind das kritische Gewissen, die Graswurzel-Bewegung gegen die Amtskirche. Am Weltjugendtag in Köln haben sie zum Beispiel Postkarten mit dem Slogan „Condoms 4 Life“ verteilt. Aber „Wir sind Kirche“ hat ein Problem: Hier sind vor allem Ältere engagiert. Junge Leute sind die Seltenheit.

Die gläubige Rebellin

Aber ich habe jemanden gefunden: Elisabeth aus München. 
Ihre ganze Familie besteht aus streitbaren Christen, die sich ihren Glauben nicht von Rom vorschreiben lassen. Lange gehörte Elisabeth zusammen mit ihren beiden Geschwistern zu den wenigen Jungen bei „Wir sind Kirche“. Inzwischen ist sie nicht mehr bei „Wir sind Kirche“ aktiv – aber sie setzt sich weiter für Reformen ein. Elisabeth bleibt in der Kirche – und zwar vor allem wegen der Gemeinschaft in ihrer Gemeinde. Also haben auch wir uns auf die Suche nach einer Kirchengemeinde gemacht, wo sich junge Leute wohl fühlen können.

Und da landet man in Bayern fast unweigerlich bei LUX, der jungen evangelischen Kirche in Nürnberg. Hier gibt es Gottesdienste mit Band, Disco-Licht und Café-Lounge. Pfarrer Tobias Fritsche hat vor der Gründung der Gemeinde sogar ein wenig Marktforschung betrieben. Das Ergebnis hat selbst ihn überrascht: Am häufigsten wünschten sich die jungen Leute eine Kirche mit Heizung. „Unsere Kirche hat 20 Grad Raumtemperatur. Das kommt sehr gut an.“ 
 
Praxis-Tipps vom Alternativ-Pfarrer

Aber auch praktische Fragen spielen für viele eine Rolle: Wenn ich austrete, komme ich dann in die Hölle? Kann ich noch in einer Kirche heiraten? Und darf ich Taufpate meiner kleinen Nichte sein? Der Freie Theologe Jochen Jülicher hat Antworten auf solche Fragen.

Er selbst war Pfarrer in der Katholischen Kirche und hat vor ein paar Jahren nicht nur das Priesteramt niedergelegt, sondern gleich auch die Kirche verlassen. Seine Erlebnisse hat er im Buch „Der Liebe Gott ist auch schon ausgetreten“ festgehalten. Er klärt mit uns die wichtigsten Fragen dazu, was nach einem Austritt noch möglich ist.

Diese Sendung kann hier als Podcast gehört werden.

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