Startseite » Themen » „Professor von Bischofs Gnaden“

"Professor von Bischofs Gnaden"

SZ: Eine Berufung in Philosophie, Pädagogik und Soziologie – nur mit dem Segen des örtlichen Bischofs? An bayerischen Hochschulen ist das mitunter noch gängige Praxis. Drei solcher Konkordatslehrstühle, bei denen nichts ohne die Zustimmung der Kirche geht, gibt es noch an der Universität München (LMU), gut 20 sind es im gesamten Freistaat – in den jeweiligen Fächern kein verschwindend geringer Anteil. Für einen steht jetzt in Erlangen wie berichtet wieder mal das Berufungsverfahren an. Dagegen haben sieben Hochschullehrer geklagt. Alexander von Pechmann, Philosophie-Dozent an der LMU und Initiator der Klage, hält die Regelung für anachronistisch – und verfassungswidrig.

Alexander von Pechmann: Der Philosophie-Dozent an der LMU klagt gegen Konkordatslehrstühle.

SZ: Wie sind die Konkordatslehrstühle entstanden?

Alexander von Pechmann: In einem ersten Vertrag zwischen dem Königreich Bayern und dem Vatikan von 1817 sind die Zuständigkeiten von Staat und Kirche für die Bildung festgelegt worden. Danach sollten alle Lehrstühle, die sich Bildungsfragen widmen, an den Universitäten nur mit Zustimmung der Kirche besetzt werden. Dieser Vertrag wurde 1924 erneuert und noch einmal 1974 neu gefasst. In gewisser Weise ist die heute noch geltende Regelung ein Zugeständnis des Staates an die Katholische Kirche: An sieben bayerischen Universitäten, auch der LMU, gibt es in Philosophie, Pädagogik und Sozialwissenschaften, Fächern also, die auch für die Lehrerausbildung zuständig sind, jeweils einen Konkordatslehrstuhl. Auf ihn kommen nur Kandidaten, gegen die „hinsichtlich ihres kirchlich-katholischen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben ist“. So lautet die Formel im Bayerischen Konkordat.

SZ: Gab es gegen diese Regelung schon einmal Protest?

Pechmann: 1974 gab es eine Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof; 1980 entschied das Gericht, dass die 1974 beschlossene Ausweitung der Regelung nicht verfassungswidrig sei. Einen öffentlichen Protest kenne ich sonst nicht. Man redet nicht darüber; wahrscheinlich stößt das Thema den Zuständigen immer erst dann auf, wenn wieder mal die Besetzung eines dieser Lehrstühle ansteht wie jetzt in Erlangen. In München weiß doch kaum einer mehr, dass der Lehrstuhl I in Philosophie von Wilhelm Vossenkuhl ein Konkordatslehrstuhl ist, ebenso wenig bei den Ordinariaten von Norman Braun in der Soziologie und Hartmut Ditton in der Pädagogik.

SZ: Wer sind die Kläger und warum ziehen sie vor Gericht?

Pechmann: Die Kläger sind teils Professoren, teils Privatdozenten, teils nichthabilitierte Nachwuchswissenschaftler. Die Initiative, die Verfassungsmäßigkeit endlich einmal gerichtlich überprüfen zu lassen, ging von mir aus. Ich habe mich 2006 habilitiert, in Politischer Philosophie habe ich schon lange meinen Schwerpunkt, ich war lange Lehrbeauftragter hier an der LMU, habe auch ein Schulbuch für Bayern zur Politischen Theorie geschrieben und war in der Fortbildung der Ethiklehrer tätig. Da war die Ausschreibung an der Erlanger Universität schon reizvoll und das Stellenprofil für mich passend. Dann habe ich von der Einschränkung mitbekommen. Und jetzt, da ich mich wie die anderen zur Klage entschieden habe, habe ich mich ohnehin nicht beworben.

SZ: Was führen Sie an?

Pechmann: Von Bewerbern auf einen Lehrstuhl einen dem Bischof genehmen „kirchlich-katholischen Standpunkt“ zu fordern, und überhaupt die „richtige“ Konfession, widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung. In Artikel 107, Absatz 4 der bayerischen Verfassung heißt es beispielsweise, dass „die Zulassung zu den öffentlichen Ämtern von dem religiösen Bekenntnis unabhängig“ ist. Das Grundgesetz sagt in Artikel 33, Absatz 3: „Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.“ Und das neue Antidiskriminierungsgesetz, das in ganz Europa nun auf nationaler Ebene verankert ist, hat ja das vorrangige Ziel, Benachteiligungen aufgrund der Religion oder Weltanschauung zu verhindern. Außerdem: Warum sollte ein Bischof darüber entscheiden können, wer als Wissenschaftler für einen Lehrstuhl taugt? Das mag für die Katholische Theologie noch angehen, in anderen Fächern ist es ein Anachronismus.

SZ: Auf den Konkordatslehrstühlen gib es aber auch Quotenprotestanten.

Pechmann: Ich habe nur von einem Fall gehört, der allerdings katholisch geheiratet hatte und sich verpflichten musste, seine Kinder katholisch zu erziehen. Schon bei der Popularklage war relativ klar, dass die Konkordats-Formel „in der Regel“ anzuwenden ist. Es mag einzelne Ausnahmen geben, sie müssen sich aber einfügen in ein Gesamtbild, das für den jeweiligen Bischof akzeptabel ist.

SZ: Gab es direkte Einflussnahmen der Kirche? Oder stellen die Hochschulen die Berufungslisten von vornherein kirchenkompatibel auf?

Pechmann: Der Bischof muss die Berufung letztlich absegnen. Das weiß man und stellt die Bewerbungen passend zusammen.

SZ: Warum glauben Sie, das Verfahren könne gerade jetzt erfolgreich sein?

Pechmann: 1980 hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Kern argumentiert: Es stimmt, es werden individuelle Grundrechte durch die Beschränkungen den Konkordats verletzt. Aber der Geist der Verfassung sei ein höheres Gut, und die Väter der Verfassung hätten die Kooperation von Staat und Kirche schließlich gewollt. Im Einzelfall müsse da das Individualrecht zurücktreten. Diese Sicht hat sich meines Erachtens verändert. Denken Sie nur an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot. Dort haben die Richter die Individualrechte gestärkt, angesichts zunehmender religiöser Pluralität und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel. Außerdem ist spätestens seit den 70ern die traditionelle Rolle der Kirche – auch als Bildungsinstanz – unter den Bedingungen der Globalisierung zunehmend brüchig geworden. Das alte Privileg der Kirche macht aber allenfalls dann noch Sinn, wenn sie noch die geistig-soziale Zusammensetzung der Gesellschaft spiegelt.

SZ: Hier handelt es sich um die dritte Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Kirche in Bayern in kurzer Zeit – nach den Kämpfen an der Katholischen Universität Eichstätt und dem Streit um eine Papst-Professur in Regensburg. Sehen Sie da Zusammenhänge?

Pechmann: Als Außenstehender fragt man sich, ob sich in diesen Beispielen nicht vor allem eines zeigt: Die Art und Weise, in der sich Wissenschaft organisiert, passt nicht zur Organisation von Kirche. Die institutionalisierte Einflussnahme des Glaubens auf das Wissen jedenfalls ist anachronistisch. Aber das muss die Kirche diskutieren. Angeblich befürwortet ja auch der Papst, dass um Glauben und Wissen, um das Verhältnis von Religion und Vernunft, debattiert wird. Aus Eichstätt heißt es schon, dass Nachwuchskräfte angesichts der kirchlichen Eingriffe ernsthaft um ihre wissenschaftliche Reputation fürchten. Noch auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil von 1965 hat es geheißen, dass die Kirche um ihrer Glaubwürdigkeit willen durchaus auch auf angestammte Privilegien verzichten müsse. Offenbar hat da eine Art Rollback stattgefunden.

SZ: Sie sind zunächst vor das Verwaltungsgericht in Ansbach gezogen, um erst einmal das Berufungsverfahren zu stoppen. Ist das geschehen?

Pechmann: Am Freitag vergangener Woche hat das Gericht nach Auskunft unserer Münchner Anwältin Bettina Weber die Verfügung an die Universität Erlangen weitergereicht und um schnelle Behandlung gebeten. Am Samstag jedenfalls haben sich noch mögliche Kandidaten in Erlangen vorgestellt. Kommt es zu einem Stopp, ziehen wir vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Und wenn wir genügend Spenden zusammenbekommen, gehen wir durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Bislang unterstützen uns unter anderem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Humanistische Union. Juristisch und politisch stecken dahinter spannende Fragen, schon deswegen, weil es sich beim Konkordat um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Und die Europäische Kommission hat bereits bei der Bundesregierung angefragt, sie möge prüfen, ob solche Konkordatsverträge mit dem Gleichbehandlungsgesetz in Übereinstimmung sind.

nach oben