Rede der Preisträger Unter­stüt­zer­kreis Regens­burger Kirchenasyl

04.12.1996

vorgetragen von Gotthold Streitberger (Mitglied BI Asyl)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

durch die Preisverleihung reiht die Humanistische Union uns, d.h. den Unterstützerkreis Regensburger Kirchenasyl, die Kirchenasyl gewährenden Gemeinden und die gesamte Kirchenasylbewegung ein in eine Reihe von namhaften Frauen und Männer, die den aufrechten Gang repräsentieren. Das ehrt uns, und wir verstehen dies als Anerkennung für bisherige Bemühungen und Ermutigung und Ansporn für zukünftige Bemühungen.

Herzlichen Dank dafür an die Humanistische Union, für die wir neben Dr. Hering stellvertretend für die anderen Mitgliedern, die aus München zu uns gekommen sind, namentlich Herrn Wolfgang Killinger begrüßen. Herr Killinger hat federführend für die Humanistische Union die Vorbereitungen und Programmgestaltung des heutigen Abends übernommen.
Herzlichen Dank auch an Dr. Heribert Prantl für seine Laudatio und Milorad Romic für die schöne musikalische Begleitung.
Die vielen namhaften Persönlichkeiten, die hier unter uns sind, kann ich natürlich nicht alle begrüßen, stellvertretend begrüße ich Frau Gabriele Schönhuber, die für das Ökumenische Kirchenasylnetz Bayern aus München zu uns gekommen ist, zusammen mit Frau Ammon, Ex-Synodale der Evang. Landeskirche.

Unsere Bundestagsabgeordnete Erika Simm ist zur Sitzungswoche des Deutschen Bundestages in Bonn und kann deshalb nicht hier sein. Sie bedauert dies und hat uns schriftlich sehr herzlich gratuliert. Ebenso Pfarrer Denk und Pfarrer Scheuerer aus Kelheim, die leider auch verhindert sind.

Wir begrüßen aber alle Flüchtlinge unter uns, und insbesondere die, die in unserer Gegend durch Kirchenasyl bzw. öffentlich gemachtes Verstecken vor Abschiebung gerettet wurden und nun alle hier sind: Familie Kocakaya aus Kelheim, Kamran IIhan und Nuri Bekiroglu aus Regensburg, und Familie Rasiti aus Maxhütte.
Und ganz herzlich begrüßen wir Azimari Sebabi und Esso-Walana Ouro-Sama, zwei unserer togoischen Freunde aus dem Kirchenasyl. Einerseits freuen wir uns sehr, daß sie unter uns sind, andererseits sind wir sehr traurig: Sie können nur unter uns sein, weil sie kürzlich unterschrieben haben, freiwillig in ein anderes Land auszureisen und daraufhin das Kirchenasyl verlassen konnten, bis ihre Ausreise organisiert ist.

Genug der Begrüßungen und der Vorrede.

Meine weiteren Ausführungen gliedere ich in drei Teile:

1. Wie war die Ausgangssituation des Regensburger Kirchenasyls?

2. Wie war der Verlauf und welche Erfahrungen und Erkenntnisse haben wir dabei gewonnen?

3. Vorläufiges Fazit. Und wie kann’s weitergehen? Was wollen wir erreichen?

Also zu erstens: Wie war die Ausgangssituation?

Anfang März hatte das Ausländeramt Abschiebemaßnahmen gegen mehrere togoische Flüchtlinge eingeleitet, bei denen es das Bundesamt abgelehnt hatte, ein Asylfolgeverfahren durchzuführen. Eine Klage gegen diesen ablehnenden Bescheid des Bundesamtes war anhängig. Diese hat aber keine aufschiebende Wirkung und ein Eilantrag zur Aussetzung der Abschiebung war vom VG Rgbg. 5 Kammer abgelehnt worden. Die 5. Kammer des VG Rgbg. lehnt Asylklagen togoischer Flüchtlinge grundsätzlich ab. Dagegen anerkennt die 6. Kammer zumindest Abschiebungshindernisse aufgrund der generellen Rückkehrgefährdung an – übrigens bis zum heutigen Tag.
Vor diesem Hintergrund schrieb die Mittelbayerische Zeitung am 20.2.96 in einer großen Reportage zur Asylrechtssprechung des VG Regensburg von einem „Glücksspiel“ und es dränge sich „zwangsweise der Eindruck von Unberechenbarkeit und Willkür auf“. 

In dieser Lage haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was wir tun können. Wir waren und sind weiterhin von der generellen Rückkehrgefährdung togoischer Flüchtlinge überzeugt. Und aus prinzipiellen Gründen halten wir eine Abschiebung von Flüchtlingen vor rechtskräftiger Entscheidung über die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens für unverantwortlich und für unvereinbar mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien.

Bei diesem Treffen stellte sich nun konkret die Frage nach Kirchenasyl.
Unser togoischer Freund Ouro-8ama lebte schon seit Oktober 95 in einem Versteck vor Abschiebung, ohne daß die Öffentlichkeit davon wußte. Aber nun waren gleichzeitig mehrere togoische Flüchtlinge vor Abschiebung bedroht, da konnten und wollten wir nicht einen herausgreifen. Die noch konkretere Frage war also: Kann in Regensburg offenes Kirchenasyl für mehrere togoische Flüchtlinge gewährt werden?
Mit ausführlichen Erläuterungen gaben wir diese Frage so in persönlichen Gesprächen an verschiedene Kirchengemeinden weiter. Daraufhin haben mehrere Pfarrer und Pfarrgemeinderäte beschlossen, Flüchtlingen Kirchenasyl zu gewähren.

In ausführlichen Gesprächen mit den betroffenen Flüchtlinge wurden dann die Möglichkeiten und Grenzen des Kirchenasyls besprochen, die damit verbundenen Belastungen, die Hoffnungen, und die fehlende Garantie …
Zwei der Betroffenen haben sich daraufhin zur freiwilligen Ausreise entschlossen und vier haben dringend um Kirchenasyl gebeten. Am 10.März wurden Fousseni Moussa und Abdou-Razak OuroBodi ins Kirchenasyl in Mariä Himmelfahrt und am 17. März Jyouwe Djabirisam und Azimari 8ebabi in 8t.Leonhard Vieh hausen aufgenommen.
Im Sonntagsgottesdienst wurde das Kirchenasyl der Gemeinde bekanntgegeben, die Zuflucht suchenden Flüchtlinge stellten sich der Gemeinde vor und die Gemeinde begrüßte sie und das Kirchenasyl mit großem Applaus.
Am 11. Mai wurden Missibahou Arouna und Esso-Walana Ouro-8ama in das Kirchenasyl der Gemeinde St. Georg Obertraubling aufgenommen und von dort in ökumenischer Verbundenheit Mitte Juni 96 von der Dreieinigkeitskirche Regensburg in ihr Kirchenasyl übernommen.
Beide waren bekanntlich zuvor schon in Abschiebehaft, der Abschiebeflug nach Togo war bereits gebucht. Die damalige Oberbürgermeisterin Christa Meier und der damalige Bürgermeister Walter Annuß haben mitgeholfen, sie aus der Abschiebehaft freizubekommen. Dafür danken wir Ihnen hier nochmals.

Zum Verständnis dieser Ausgangs- und Anfangssituation muß noch folgendes gesagt werden:
Es gab bis dahin in Regensburg noch kein offenes Kirchenasyl. Aber es gab Regensburger Erfahrungen und Erfolge mit Verstecken von Flüchtlingen bzw. mit Kirchenasyl, bei dem Ort und Name der Kirche der Öffentlichkeit und den Behörden nicht genannt wurden. Hinzu kamen die Erfahrungen des offenen Kirchenasyls der Gemeinde St.Lukas in Kelheim 1994.
Und wir beteiligten uns bereits aktiv bei der Gründungsversammlung des Ökumenischen Kirchenasylnetzes im April 94 in Nürnberg und beim ersten bayerischen Kirchenasylstudientag im Februar 95 in Augsburg mit insgesamt ca. 150 Teilnehmer/innen.
Der zweite bayerische Kirchenasylstudientag im Februar 96 im Kloster Riedenburg wurde aus Regensburg mit dem bayernweiten Sprecherrat des Ökumenischen Kirchenasylnetzes vorbereitet. Nach Riedenburg kamen Vertreter beider Kirchenleitungen und über 200 Personen, aus Regensburg unter anderen Pfarrer Chrt und der kath. Seelsorgeamtsleiter Herr Hubbauer.

Zur Vorgeschichte gehört auch eine sehr gut besuchte Bildungsveranstaltung des Kath. Bildungswerkes zum Thema Kircheasyl mit den Referenten Frau Schönhuber aus München und Pfarrer Steinmeier aus Nürnberg vom Ökumenischen Kirchenasylnetz und ein Gottesdienst der Dreieinigkeitskirche zum Thema Kirchenasyl.
Außerdem nehmen wir seit 1995 regelmäßig an den bayerischen Kirchenasylarbeitstreffen teil, bei denen die Erfahrungen der verschiedenen Kirchenasyle in Bayern ausgetauscht werden.
Stützen und berufen konnten und können wir uns auch auf viele ermutigende Worte der kath. und evang. Kirchenleitungen und ihrer Repräsentanten zum Kirchenasyl.
Ganz wichtig waren auch die nun schon jahrelangen intensiven Regensburger Togo-Recherchen, die Zusammenarbeit mit togoischen Flüchtlingen, und daß sich diese selbst in CRETO organisiert haben, dem Komitee der togoischen Flüchtlinge in Regensburg und der Oberpfalz.

Aber nun zu Punkt 2: Wie war der Verlauf? Welche Erfahrungen und welche Erkenntnisse haben wir gewonnen?

Mit dem „Regensburger Gruppenkirchenasyl für togoische Flüchtlinge“ hatten wir auch in der bayernweiten- bzw. bundesweiten Kirchenasylbewegung relatives Neuland beschritten.
Die erste Phase war geprägt von einer Welle von Sympathie- und Unterstützungsbekundungen. Die ins Kirchenasyl spontan vorbeigebrachte Torte eines Bäckermeisters mit der Aufschrift „SOLIDARITE“ war so ein Zeichen. Oder der Fußballtrainer, der die Kirchenflüchtlinge zum Vereinstraining abholen wollte, nicht wissend, daß das wegen der Verhaftungsgefahr außerhalb des Kirchenasyls nicht möglich ist.
Wir haben über 250 Unterstützungsbriefe und Stellungnahmen aus dem ganzen Bundesgebiet und großzügige Spenden an den Unterstützerkreis und die einzelnen Gemeinden erhalten. Über 700 vorwiegend in der Seelsorge Tätige haben eine gemeinsame Solidaritätserklärung veröffentlicht, die auch als Annonce in der MZ erschien.
Vor Ort interessierten sich viele neue Menschen für die Situation in Togo, für die Asylrechtssprechung und für Kirchenasyl. Für viele war es neu und empörend, daß eine Abschiebung vor Abschluß eines Asylverfahrens nach geltendem Recht überhaupt möglich ist.
Der Kirchenasylalltag, der mit zunehmender Dauer für die Flüchtlinge, aber auch für uns immer belastender, für die Flüchtlinge phasenweise fast unerträglich wurde, mußte bewältigt werden. Dazu gehört unter anderem die alltägliche praktische Hilfe und Betreuung im Kirchenasylgefängnis: Tägliche Einkaufs- und Besuchsdienste, Deutschunterricht, Überlegungen und Taten, um die Flüchtlinge in ihrer schweren Situation aufzumuntern, wo erforderlich wurde medizinische Betreuung gefunden, das weitere juristische Vorgehen wurde besprochen und vorbereitet usw. usf…

In den Kirchengemeinden und Pfarrhäusern steht die christliche und humanitäre Beistandspflicht und die entsprechende menschliche Betreuung im Vordergrund aller Bemühungen. Hinzu kam die Suche nach Ländern, die für eine Ausreise in Frage kommen und nach Adressen und möglichen AnlaufsteIlen in diesen Ländern, für den Fall, daß ein Bleiberecht in Deutschland nicht mehr erreicht werden kann.

Der Verlauf und die Erfahrungen des Kirchenasyls sind natürlich in jeder Gemeinde etwas verschieden und abhängig von der jeweiligen Gemeindestruktur und anderen Faktoren.

Pfarrer Chrt predigte über seine Erfahrungen nach 3 Monaten:
„Anfangs waren mir meine togoischen Gäste fremd in ihrer Hautfarbe, ihrer Kultur und Lebensweise, inzwischen sind sie meine Freunde geworden. Auch wenn wir sprachliche Kommunikationsprobleme haben – eine Sprache verstehen wir Menschen alle: die Sprache der Zuneigung und der Solidarität.“

Der Unterstützerkreis Albert Magnus schreibt über seine Erfahrungen: „Die Betreuung der beiden Asylbewerber in Viehhausen bedeutete für uns nicht nur Belastung und psychischen Stress, sondern es war auch eine menschlich sehr bereichernde Erfahrung, die wir nicht missen möchten. Wir sind durch das Kirchenasyl auch kritischer und hellhöriger geworden für politische Mißstände in Deutschland.“

Eine erste große Enttäuschung und Verunsicherung war die Grundsatzentscheidung des VGH München vom Sommer 96, auf die wir alle zu Beginn und im bisherigen Verlauf des Kirchenasyls Hoffnungen gesetzt hatten. Im Gegensatz zur Auffasssung von Menschenrechtsorganisationen und unserer Überzeugung, der Entscheidung des OVG Magdeburg, des OVG Saarbrücken und vieler anderer Gerichtsurteile, verneinte der VGH München eine generelle Rückkehrgefährdung und eine Gruppenverfolgung togoischer Flüchtlinge.
Ob dabei eine Rolle spielte, daß der Vorsitz der zuständigen Kammer kurz zuvor wechselte, können wir nicht beurteilen. Die Entscheidung des VGH München bedeutet, daß die Frage der Rückkehrgefährdung in jedem einzelnen Fall entschieden werden muß.

Eine weitere große Verunsicherung war das Ergebnis des Gespräches des Unterstützerkreis mit Innenminister Beckstein am 15. Juli.
Bereits Ende Juni hatte er unter Berufung auf das damals noch nicht veröffentlichte VGH-Urteil in einem Schreiben an die Pfarrgemeinden und an viele andere Adressaten und per Pressemitteilung massiv die unverzügliche Beendigung des Kirchenasyls gefordert. Dieses Schreiben und seine entsprechende Pressemitteilung waren voller Halbwahrheiten, die durch Weglassen maßgeblicher Aspekte zur Unwahrheit werden. Sie waren aber auch ein starkes Druckmittel, um Angst und Unsicherheit zu schüren.
In unserem persönlichen Gespräch am 15. Juli zeigte sich der Innenminister in der Sache hart, ohne wirkliche Verhandlungsbereitschaft und Entgegenkommen. Vielmehr bestärkte er noch die bestehende Angst und Unsicherheit bezüglich einer eventuellen polizeilichen Räumung des Kirchenasyls.
Polizeiliche Räumung heißt Abschiebung nach Togo. Und gerade dies wollten wir ja unbedingt verhindern.

Sollten wir also angesichts dieser Gefahr und des zunehmenden politischen Druckes nachgeben und das Kirchenasyl vorzeitig selbst beenden? Es gab Stimmen, die dazu tendierten. Die Pfarrgemeinden, die im Kirchenasyl befindlichen Flüchtlinge und wir vom Unterstützerkreis haben zusammen anders entschieden: Fortsetzung des Kirchenasyls bis zu einer endgültigen juristischen Entscheidung im Einzelfall. Dies wurde dem Innenminister und der Öffentlichkeit auch mitgeteilt. Dabei hofften wir weiter auf die juristische Anerkennung von zumindest Abschiebungshindernissen im konkreten Einzelschicksal.
Angesichts der breiten öffentlichen Unterstützung und Sympathie für Kirchenasyl schreckt Innenminister Beckstein wegen der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“, wie er sich ausdrückt, doch noch vor dem direkten Frontalangriff gegenüber den großen Kirchen zurück.
Aber in Wunsiedel, beim Kirchenasyl der kleinen Adventsgemeinde, also einer dem Staat gegenüber schwachen Kirche, zeigte er, daß er auch ein Gemeindehaus und Gotteshaus nicht achtet. Er ließ dort polizeilich räumen und sofort nach Togo abschieben. Alles war generalstabsmäßig geplant.

Wir sind darüber immer noch maßlos entsetzt und empört. Und im Wissen, wie es Saguintah Solona in Togo geht, sind wir genauso entsetzt und empört, welche Lügenpropaganda das Innenministerium darüber verbreitet. Aber das ist ein eigenes Thema, zu dem wir uns an anderer Stelle äußern können.
Unsere Erfahrungen mit Innenminister Beckstein sind jedenfalls sehr negativ. Über die politische Bewertung dieser Erfahrungen haben wir viele unterschiedliche Meinungen.
Ich bin folgender Meinung:
Herr Dr. Beckstein sollte als Innenminister und Mitglied der Evang. Synode zurücktreten, bzw. wir sollten ihn dazu auffordern.
Aber, ich betone, dies ist meine persönliche Meinung und innerhalb unseres Unterstützerkreis und der ganzen bayerischen Kirchenasylbewegung, die vergleichbare negative Erfahrungen wie wir machen, ist dies eine Minderheitsmeinung.

Ende September und Anfang Oktober folgten unsere Gerichtserfahrungen mit der 5. Kammer des VG Regensburg. Rechtsanwalt Auer hatte seine Klagen, über die nun – nach 7 Monaten Kirchenasyl verhandelt wurde, sehr gut vorbereitet. Aber die 5. Kammer blieb ihrer Linie treu und ignorierte alle Beweise oder wollte sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Die Klagen wurden abgewiesen. Für viele war der Besuch einer Asylgerichtsverhandlung eine neue Erfahrung. Eine Hausfrau aus Viehhausen schrieb daraufhin einen Brief an den Präsidenten des Verwaltungsgerichtes und beschrieb darin, was wohl alle Besucher fühlten: Ihr Entsetzen über die Verhandlungsführung. Vom Vizepräsidenten des Gerichts bekam sie auch Antwort, aus der ich jetzt wörtlich zitiere:
“ … Aufgrund ihrer offensichtlich großen Unerfahrenheit in rechtlichen Dingen, sehe ich davon ab, Strafantrag und Strafanzeige gegen Sie zu stellen, weise diese Vorwürfe aber auf das Entschiedenste zurück …. “
Wieder eine Erfahrung mehr.

Eine allgemeine Erfahrung ist sicherlich folgende:
Wir rennen mit unseren Köpfen voller Wissen und Beweise gegen eine Betonwand von Ignoranz und Hartherzigkeit der Asyljustiz und des bayerischen Innenministers.
Der herrschenden politischen Prämisse, daß möglichst viele der noch in Deutschland lebenden Flüchtlinge aus unserem Land wieder vertrieben werden sollen, wird alles untergeordnet. Was zählen da solche Werte wie christliche Beistandspflicht, Humanitas oder Gerechtigkeit…

Wichtige Erfahrungen haben wir auch im Umgang untereinander gemacht:
Ab Beginn des Kirchenasyls hat sich der Unterstützerkreis alle 2 – 3 Wochen getroffen. Die jeweilige Gesamtsituation wurde reflektiert und diskutiert. Anstehende Aufgaben wurden besprochen, verteilt und so gut als möglich koordiniert. Juristische und politische Fragen wurden diskutiert. Diese Sitzungen dauerten meist über 4 Stunden und waren oft auch sehr anstrengend. Die Aufgaben im weiten Feld zwischen christlicher Beistandspflicht, humanitärer Betreuung, zivilem Ungehorsam und Widerstand gegen Unrecht sind riesig.
Dabei mußten wir Strukturen erlernen und üben. Wir mußten lernen, viele neue Informationen aufzunehmen, zu diskutieren und zu verarbeiten. Wir mußten lernen, mit unseren unterschiedlichen Meinungen, Einschätzungen oder Standpunkten zur jeweiligen Situation umzugehen. Wir mußten lernen, unterschiedlichen Meinungen und auch verschiedene Charaktere und Persönlichkeiten soweit als möglich aufeinander und miteinander abzustimmen, auch unterschiedliche Meinungen akzeptieren und nebeneinander stehen lassen …

Diese Koordination war und ist eine unserer schwierigsten Aufgaben. Hier sind uns zwangsläufig auch Koordinationsprobleme, Fehler, Irritationen und Kommunikationsdefizite unterlaufen.
Und dieser Prozeß des Umgangs miteinander war und bleibt nicht einfach, war und ist manchmal auch schmerzend, insgesamt aber bereichernd.
Man kann diesen Prozeß und auch die dabei unterlaufenen Fehler nur verstehen, wenn man sich den ganz enormen Druck zu vergegenwärtigen sucht, dem wir ausgesetzt sind: Der Druck, der von staatlicher Seite und von rechten politischen Kreisen gegenüber einem solchen Unterstützerkreis dirket und indirekt aufgebaut wird, der juristische Druck und der Druck der konkret erlebten Verzweiflung der Flüchtlinge in und außerhalb des Kirchenasyls. Hinzu kommt die persönliche Arbeitsbelastung von jedem von uns .. Im Gegensatz zu den Herren aus Staat und Politik arbeiten wir ehrenamtlich und außerberuflich, und wir haben keinen Mitarbeiterstab zur Verfügung.

Wir haben weitere Erfahrungen gewonnen, die ich horizonterweiternd nenne.
Im Kirchenasyl sind Menschen verschiedener Kulturen und verschiedener Gewohnheiten und unterschiedlicher Lebenseinstellungen zusammengekommen: Afrikaner und Deutsche, auch mit unterschiedlichem Glauben: Moslems und Christen. Und Christen verschiedener Konfessionen, katholische, evangelische und mennonitische Christen. Und Christen sind zusammengekommen mit Menschen, die sich von anderen humanitären oder von politischen Überzeugungen leiten lassen. „Anfangs waren wir einander fremd, nun sind wir Freunde geworden“, hat Pfarrer Chrt gepredigt. Wir alle haben uns kennengelernt und voneinander gelernt.
Ein Modell, daß man ohne den Zwangscharakter des Kirchenasyls innerkirchlich und gesamtgesellschaftlich umsetzen könnte und sollte.

Nun zum letzten Punkt der Rede: Vorläufiges Fazit, Wie kann’s weitergehen und was wollen wir erreichen?

Unser oberstes Ziel war, allen togoischen Flüchtlingen im Kirchenasyl zu einem Bleiberecht in Deutschland zu verhelfen, bis sie gefahrlos nach Togo zurückkehren können, um dort eine Demokratie mitaufzubauen. Dies haben wir bekanntlich nicht erreicht, angesichts der Ignoranz der Asyljustiz und der bornierten und herzlosen Politik des bayerischen Innenministeriums. Zwei Flüchtlinge aus dem Kirchenasyl sind ausgereist, zwei weitere warten auf die Ausreise. Wenigstens erfolgte und erfolgt keine Abschiebung nach Togo.
Aber wir sagen dazu ganz deutlich: Wir finden es beschämend, daß wir unsere Freunde in Länder verabschieden müssen, in denen sie weiter Flüchtlinge und gefährdet sind, und die von ihren ökonomischen sozialen und politischen Gegebenheiten wesentlich schlechtere Voraussetzungen haben, als die Bundesrepublik.
Zwei Flüchtlinge warten weiter im Kirchenasyl auf den Ausgang ihres Verfahrens. Hier haben wir hinsichtlich unseres obersten Zieles, also Bleiberecht, bei einem der beiden begründete große Hoffnung, beim anderen nur noch sehr geringe, dies allerdings auch wegen Versäumnissen des vertretenden Anwaltes.

Eines wurde sicherlich erreicht: Mehr Menschen sind auf die Not der Flüchtlinge, die Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten des Asylverfahrensgesetzes und der Asyljustiz und die Politik des bayerischen Innenministeriums gegen Flüchtlinge an hand konkreter Erfahrungen aufmerksam geworden. Für viele Menschen aus den Kirchengemeinden ist das ein neues Thema, einige werden sich weiter damit beschäftigen. Der Unterstützerkreis Albert Magnus schreibt dazu: „Für einige von uns ist mit dem Ende des Kirchenasyls in Viehhausen die Sache sicherlich nicht erledigt. Wir wollen und werden in der einen oder anderen Form in der Asylarbeit weitermachen.“

Nun noch zu den staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen die Pfarrer und Pfarrgemeinderatsvorsitzenden :

Persönlich sehen die direkt Betroffenen und wir das eigentlich ziemlich locker und entspannt. Aber insgesamt muß diesem weiteren Versuch, Pfarrer und Pfarrgemeinden zumindest einzuschüchtern, sogar zu kriminalisieren, mit dem Ziel, andere vom Kirchenasyl abzubringen, deutlich und noch lauter als bisher entgegengetreten werden.

Wir sagen klipp und klar: Die christliche Gewissensentscheidung darf nicht kriminalisiert werden, Pfarrer sind keine Kriminelle, die Staatsanwaltschaft soll die Ermittlungen einstellen!

Sollten dann aber doch Strafbefehle ins Haus flattern, dann empfehlen wir, dagegen mit allen zur Verfügung stehenden juristischen und politischen Möglichkeiten vorzugehen und bitten dafür um entsprechende Unterstützung und Solidarität.
Festgestellt werden kann zunächst: In der über 15-jährigen Kirchenasylgeschichte gab es bisher keine Verurteilungen gegen Kirchenasyl Gewährende. Kirchenasyl ist bisher keine Straftat. Beschämend finden wir es, daß die Partei, die sich christlich nennt, dies anders propagiert und den Ist-Zustand offensichtlich ändern will. Wir hoffen, daß sich hiergegen die Kirchen und andere gesellschaftlich relevante Kräfte und die politische Opposition noch deutlicher als bisher zu Wort melden.

Die CSU behauptet, Kirchenasyl sei ein klarer Rechtsbruch. Als Tatsachenbehauptung ist dies schlichtweg falsch. Ebenso falsch ist ihr Vorwurf, durch Kirchenasyl werde der demokratische Rechtsstaat ausgehöhlt. Dieser Vorwurf ist eigentlich lächerlich, aber natürlich nicht zum Lachen. Im Gegenteil. Deshalb sagen wir ernsthaft:

Kirchenasyl will den Staat vor Rechtsbruch bewahren!

Kirchenasyl ist keine Umgehung des Rechtsstaates. Wir wollen den Rechtsstaat. Wir wollen rechtstaatliche Prinzipien und humanitäre bzw. allgemein menschenrechtliche Grundsätze der Verfassung bewahren und verteidigen.
Aber wir müssen feststellen:
Das Grundrecht auf Asyl – einer dieser ganz wesentlichen Grundsätze der Verfassung – wurde de facto bereits abgeschafft.
Und weitere Grundrechte sind in Gefahr. Nicht durch uns, sondern durch die, die uns dies vorwerfen. Dagegen wehren wir uns. Und wir fragen auch: Was ist das für ein Staat, in dem Grundrechte an die Nationalität gebunden sind?

Keine Kirchengemeinde will Kirchenasyl.

Gerade deshalb ist neben der christlichen Beistandspflicht originäres Ziel der Kirchenasylbewegung, auf strukturelle Veränderungen der Faktoren zu drängen, die immer häufiger, die Frage nach Kirchenasyl stellen. Das heißt konkret, zu drängen auf Veränderungen im Asylverfahren und seinen gesetzlichen Grundlagen.
Ich will nur drei Punkte nennen:
Die Erstanhörung beim Bundesamt, die für das ganze weitere Verfahren entscheidende Bedeutung hat, sollte nicht mehr unmittelbar nach der Flucht stattfinden. Vor der Anhörung muß genügend Möglichkeit einer qualifizierten Verfahrensberatung gegeben sein. Und die Qualität dieser Anhörung muß stark verbessert werden.
Beim Schutz vor Abschiebung sollten zumindest die Bestimmungen des Ausländergesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten werden und vorhandene Spielräume ausgenutzt werden. Das Asylverfahrensgesetz ist dahingehend zu ändern, daß eine Abschiebung nicht erfolgen kann, bevor über die Durchführung eines Folgeverfahrens rechtskräftig entschieden ist.
 
Unsere oberste Prämisse ist: Fluchtursachen bekämpfen – Nicht die Flüchtlinge.
Und dabei sollten wir ein besonderes Auge für die in unserem Land liegenden Fluchtursachen haben. Aber solange wir diese strukturellen Veränderungen nicht erreicht haben, solange wird Kirchenasyl als Teil unserer Bemühungen weiter gefragt sein, auch in Regensburg. Dabei appellieren wir an Parteien, Gewerkschaften und andere öffentliche Institutionen, ihre Solidarität und Unterstützung mit der Kirchenasylbewegung zu verstärken. Und wir erinnern daran, daß auch sie von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen „vorübergehende Herberge“, einen „sicheren Platz“ oder eine entsprechende „Patenschaft“ gewähren können.
Flüchtlinge sind für uns keine Randgruppe, sondern bei uns und mit uns lebende Menschen, mit denen wir uns zusammen für eine gemeinsame Zukunft ohne Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Intoleranz einsetzen wollen.

Ein Satz hat mich von Anfang des Kirchenasyl bis heute begleitet, ich stelle ihn hier an den Schluß unserer Rede. Auf französisch heißt er: „Quelqu’un, qui lutte, peut perdre. Quelqu’un qui ne lutte pas, a déja  perdu.“ Und auf deutsch: „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

Vortrag der Rede: Gotthold Streitberger (Mitglied BI Asyl)

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