Laudatio auf Gerti Kiermeier

27.10.1997

Von Christine Roth

 

Liebe Gerti,

vielleicht wäre es Dir lieber, wenn die heutige Preisverleihung gar nicht stattfinden würde. Nicht nur wegen Deiner Bescheidenheit, sondern auch, weil es für Dich und für uns alle und für unser Land besser wäre, wenn Dein Verhalten nicht außergewöhnlich, sondern gewöhnlich und alltäglich wäre.

Wenn es also nicht die Ausnahme, sondern die Regel wäre, daß Bürger ihre demokratischen Grundrechte selbstverständlich in Anspruch nehmen, daß sie sich alltäglich für verfolgte und bedrohte Flüchtlinge einsetzen und immer wieder beharrlich für den Frieden eintreten und Militarismus und Kriegsverharmlosung und Kreigsverherrlichung anprangern.

Weil das alles leider nicht selbstverständlich ist und weil wir uns freuen, daß es Menschen wie Dich gibt, die unermüdlich das Notwendige tun, deshalb sind wir hier und heute zusammen.

Wie kommt eigentlich jemand, der als ältestes von vier Kindern in einer bäuerlichen, streng katholischen Familie in Unholzing im schwärzesten Niederbayern aufwächst, wie kommt so jemand dazu, sich mit der Staatsmacht anzulegen?

Unholzing liegt zwischen Dingolfing und Landshut, es ist ein Ort mit ca. 300 Einwohnern. Die meisten von Ihnen werden ihn nicht kennen, aber einige haben ihn sicher schon im Film gesehen. Der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder wählte Unholzing als Drehort für seine „Jagdszenen aus Niederbayern“. Dieser Ort schien ihm als Hintergrundkulisse geeignet, um zu zeigen, wie in Bayern Jagd auf unangepaßte Menschen gemacht bzw. wie mit ihnen verfahren wird.

Von diesem Unholzing verschlug es Dich in das Internat der katholischen Mädchen-Realschule in Viehhausen, wo Dir unbotmäßiges Verhalten – wie z.B. pfeifen – mit dem zwangsweisen Besuch der Frühmesse (wecken um 05.30 Uhr, Messebeginn um 06.00 Uhr) ausgetrieben werden sollte.

Wie also kommt es, daß jemand, der so erzogen wird, sich mit der Staatsgewalt anlegt. Nun, die Staatsgewalt selbst hat dazu einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Wer wie Du – als friedliche Demonstrantin in Wackersdorf – mit CS-Gas und Wasserwerfern bombardiert wird, der lernt hautnah und schmerzhaft am eigenen Leib, daß Anspruch und Wirklichkeit in der Demokratie oft weit auseinander liegen.

Schon seit Beginn Deines politischen Engagements engagiertest Du Dich in der Friedensarbeit, hier vor allem in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner.

Als Gerti erfuhr, daß bei der Gregor-Racing-Show in der Olympiahalle am 22.11.1989 die Bundeswehr mit einem Werbestand vertreten sein würde, beschloß sie, dagegen zu protestieren. Diese Gregor-Racing-Show wendet sich an motorsportbegeisterte Jugendliche und junge Erwachsene.

Hier muß eingefügt werden, daß Gerti selbst begeisterte Motorradfahrerin ist. Mehrfach schon hat sie mit ihrem Motorrad die Sahara durchquert. Gerade weil sie diesen Sport liebt, findet sie es unerträglich, daß die Begeisterung der jungen Männer und ihre Faszination für Technik und Motorräder mißbraucht werden soll, um sie für das tödliche Soldatenhandwerk zu werben.

Um dieser Verharmlosung des Krieges durch den Werbestand der Bundeswehr auf dieser Racing-Show entgegenzutreten, beschloß sie mit einigen ihrer Kameraden, ein Transparent aufzustellen mit der Aufschrift „Soldaten sind potentielle Mörder/Kriegsdienstverweigerer“, um deutlich zu machen, daß Soldaten im Krieg zum Mörder werden, daß aber niemand als Soldat in den Krieg ziehen muß, sondern auch den Kriegsdienst verweigern kann.

Gerti und ihre Freunde beließen es nicht bei dem Transparent, sondern sie verteilten auch Flugblätter, in denen auf die tödliche Gefahr von Militarismus und Krieg hingewiesen wurde. Ihre Aktion dauerte noch keine zehn Minuten, da wurden sie schon der Polizei festgenommen und anschließend erkennungsdienstlich behandelt. Mehr als sechs Stunden wurden sie auf der Polizeiwache festgehalten. Vier Soldaten, die an diesem Werbestand der Bundeswehr anwesend waren, fühlten sich beleidigt.

Es folgte die in Bayern üblich Prozedur: Verurteilung durch das Amtsgericht, Verurteilung in der Berufungsinstanz durch das Landgericht, Verurteilung in der Revisionsinstanz durch das Bayerische Oberste Landesgericht. Dagegen legte Gerti Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Hier hatte sie 1995 Erfolg, die Verurteilung wurde aufgehoben.

Dazu ist anzumerken, daß ca. 97 % aller Verfassungsbeschwerden überhaupt nicht zur Entscheidung angenommen werden und von den illustren verbleibenden 3 % ist wiederum nur ca. die Hälfte erfolgreich.

Eigentlich hätte hier Schluß sein müssen. Hebt das Bundesverfassungsgericht eine strafrechtliche Verurteilung auf, dann war es bis dato undenkbar, daß sich irgendein bayerischer Amtsrichter darüber hinwegsetzt. Dieser demokratische Konsens ist in Gertis Fall von der bayerischen Justiz aufgekündigt worden. Mittlerweile ist Gerti schon wieder durch das Bayerische Oberste Landesgericht verurteilt. Zum zweitenmal ist sie gezwungen, Karlsruhe im Weg der Verfassungsbeschwerde anzurufen. Eine Entscheidung steht noch aus.

Warum wagt heute die bayerische Justiz, was vor ca. zehn Jahres undenkbar war: sich hinwegzusetzen über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das immerhin eines unserer Verfassungsorgane ist.

Rufen wir uns in Erinnerung:

Das Bundesverfassungsgericht wurde geschaffen, um Lehren aus der Nazibarbarei zu ziehen. Der einzelne Bürger sollte die Möglichkeit haben, die Beachtung seiner Grundrechte durch den Staat vom Bundesverfassungsgericht überwachen zu lassen. In unzähligen Fällen hat seither das Bundesverfassungsgericht strafrechtliche Verurteilungen aufgehoben, weil die Strafgerichte den Grundrechtsschutz nicht oder nicht ausreichend beachtet haben. Das Bundesverfassungsgericht wurde bewußt als Hüterin der Verfassung geschaffen, seine Urteile sind gemäß =15 31 BVerfGG bindend für die Bundesregierung, die Länderregierungen sowie für alle Gerichte und Behörden.

Das Bundesverfassungsgericht genießt höchste Achtung und Autorität. Genießt??? Genoß – bis vor zwei Jahren ein Feldzug gegen dieses Gericht in Gang gesetzt wurde, der beispiellos und beängstigend ist. Vorreiter war wieder einmal die unheilige Allianz aus bayerischer Staatsregierung und katholischer Kirche. Als Auslöser wurde das sogenannte Kruzifixurteil vom August 1995 hergenommen. Ein absolut harmloses Urteil, das lediglich eine jahrzehntelange Rechtsprechung zur Frage der Trennung von Staat und Kirche bestätigte.

Hier wurde zum ersten mal im Bezug auf das Bundesverfassungsgericht gelogen, daß sich die Balken bogen und das Urteil bewußt falsch wieder gegeben – so wie später auch das Soldatenurteil.

Das Bundesverfassungsgericht hatte lediglich entschieden, daß die gesetzliche Anordnung, daß Kreuze in den Schulen aufgehängt werden müssen, verfassungswidrig ist. Die Lüge besteht darin, daß die bayerische Staatsregierung und die Kirche behaupteten, das Gericht habe die Anbringung von Kreuzen in Schulen verboten.

Sehen wir uns nun die Situation im Zusammenhang mit der Soldatenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts an:

Im Jahr 1990 hat die BRD ihre Grenzen erstmals seit dem zweiten Weltkrieg nach dem Osten erweitert und ihr Staatsgebiet durch Angliederung der DDR um ca. ein Drittel vergrößert. Was vor 1990 undenkbar schien, ist seitdem Wirklichkeit: Die Bundeswehr wird außerhalb der BRD und außerhalb des Natogebietes eingesetzt. Zunächst sprach man in Somalia noch zurückhaltend von humanitärer Hilfe, heute geht es ganz unverhohlen um Kampfeinsätze der Bundeswehr auf dem Balkan und sonstwo auf der Welt!

In einer Zeit also, in der deutsche Soldaten in deutschen Tornados Richtung Balkan flogen, entschied im Oktober 1995 das Bundesverfassungsgericht, daß die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ keine Beleidigung der Bundeswehr oder einzelner ihrer Soldaten darstellt. Sofort erhob die unheilige Allianz von Militär und Reaktion ein wildes Geschrei und behauptete, Bundeswehrsoldaten seien schutzlos und dürften ungestraft beleidigt werden.

Das ist eine Lüge: Wenn heute jemand sagt „Soldaten der Bundeswehr sind Mörder“, so macht er sich wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar und kann bis zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt werden.

Das Bundesverfassungsgericht wertete die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ gerade deshalb nicht als Beleidigung, weil sich diese Äußerung gerade nicht auf Bundeswehrsoldaten bezog, sondern auf Soldaten ganz allgemein. Es ist also eine bewußte Lüge der Bundesregierung, wenn sie behauptet, Soldaten der Bundeswehr seien schutzlos.

Um dieser angeblichen Schutzlosigkeit entgegenzuwirken sollte dann der neue Straftatbestand, § 109 b – „Verunglimpfung der Bundeswehr“ – in das StGB aufgenommen werden. Der genaue Wortlaut des geplantes Gesetzes lautet: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.“

Sehen wir uns nochmal die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ an. Da sich diese Äußerung nach wie vor auf Soldaten allgemein und nicht auf solche der Bundeswehr bezieht, wäre diese Äußerung auch nach dem neuen Gesetz nicht strafbar. Die Bundesregierung brachte aber den Gesetzentwurf gerade mit der Begründung ein, daß dann diese Äußerung strafbar sei.

Es gibt im Strafrecht einen fundamentalen Grundsatz, dessen Geltung einen Rechtsstaat von der Barbarei unterscheidet. Jeder Jurastudent lernt ihn im ersten Semester. Dieser Grundsatz lautet: „nulla poena sine lege“, also keine Strafe ohne Gesetz. In Art. 103 Abs. 2 GG ist dieser Grundsatz ausdrücklich festgelegt: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“. Dieser Grundsatz beinhaltet das Bestimmtheitsgebot, d.h. jeder muß wissen, bei welchem Verhalten er sich strafbar macht.

Obwohl sich die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ nicht auf Bundeswehrsoldaten bezieht, sagte die Bundesregierung bereits im Gesetzgebungsverfahren, daß künftig diese Äußerung als Verunglimpfung der Bundeswehr strafbar sein wird. D.h. die Bundeswehr macht bereits im Vorfeld deutlich, daß künftig jede Äußerung im Zusammenhang mit Soldaten und Krieg, die ihr nicht paßt, als Verunglimpfung der Bundeswehr bestraft werden kann.

Dieser Gesetzentwurf ist vorläufig wieder in der Schublade verschwunden! Wiegen wir uns aber nicht in falscher Sicherheit. Die Bundesregierung hat allein mit dem Einbringen dieses Gesetzesentwurfs offenbart, daß sie bereit ist, jede x-beliebige kritische Äußerung als Verunglimpfung der Bundeswehr bestrafen zu lassen. Die Bundesregierung hat offenbart, daß sie bereit ist, gegen den fundamentalen Grundsatz „nulla poena sine lege“ zu verstoßen. Bei einem solchen Verstoß gegen elementare Grundsätze des Rechts geht es nicht mehr nur um Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern es geht um das Überschreiten der Grenze vom Rechtsstaat zur Barbarei.

Die Bundesregierung hat gezeigt, daß sie bereits jetzt – im Frieden – für Friedhofsruhe sorgen will, keiner soll künftig gegen den Krieg mehr protestieren können. Zweimal in diesem Jahrhundert wurden deutsche Ehemänner, deutsche Söhne und deutsche Väter zu den Soldaten gepreßt und als Mörder gegen die Völker der Welt gehetzt.

In mehr als 70 Ländern der Welt liegen deutsche Soldaten begraben. Sie waren Täter und Opfer zugleich. Denn der erste Feind, den eine kriegführende Regierung besiegen muß, ist das eigene Volk. Insgesamt fast 40.000 Todesurteile gegen desertierende Soldaten, gegen Kriegsgegner und Antifaschisten – das ist die Bilanz des 2. Weltkrieges. Eine justitielle Mord- und Hinrichtungsmaschinerie war erforderlich, um diesen Krieg führbar zu machen.

Im Kriegsfall muß zwingend die Todesstrafe wieder eingeführt werden, dazu drängt die militärische Logik. Wer die Wahl hat zwischen dem wahrscheinlichem Tod an der Front und dem Gefängnis im Hinterland, der wird das Gefängnis wählen. Nur wer die Wahl zwischen dem eventuellen Tod an der Front und dem sicheren Tod durch ein Kriegsgericht, nur der läßt sich in den Krieg pressen.

Es gibt bereits heute in den Schubladen des Justiz- bzw. Verteidigungsministeriums Pläne für eine Kriegsgerichtsbarkeit, die soweit gediehen sind, daß sogar die Abzeichen auf den Roben der künftigen Kriegsrichter detailliert festgelegt sind.

Wenn wir heute eine Friedenskämpferin ehren, dann sollte auch Raum sein für eine kurze Erinnerung daran, wie viele Menschen in diesem Land ihren Kampf für den Frieden mit ihrem Leben bezahlen mußten.

Der Reichstagsabgeordnete und Rechtsanwalt Karl Liebknecht, der als einziger 1914 gegen die Kriegskredite stimmte, wurde trotz parlamentarischer Immunität als Armierungssoldat eingezogen. Armierungssoldaten mußten Schützengräben ausheben, sie waren also die am meisten gefährdeten Menschen an vorderster Front und unverhohlen äußerte das Militär die Hoffnung, Karl Liebknecht möge bei dieser gefährlichen Tätigkeit getötet werden.

Als auf diese Weise die Stimme des Friedens in Deutschland nicht zum Verstummen gebracht werden konnte, verurteilte ihn die kaiserliche Justiz zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus, weil er auf einer Kundgebung am 01. Mai 1916 gerufen hatte: „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“

Er und Rosa Luxemburg waren für ihre Losung: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land und der heißt deutscher Imperialismus“ den Kriegstreibern und ihren Hintermännern in Banken und Industrie tödlich verhaßt. Es waren deutsche Soldaten, die diese Kämpfer für den Frieden heimtückisch und grausam ermordeten.

Erich Mühsam, Karl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht und viele andere Friedenskämpfer wurden gefoltert, ins Exil verjagt und ermordet, weil sie die Kriegstreiber und die Kriegsgewinnler in Banken und Industrie anprangerten.

Eine persönliche Anmerkung sei mir gestattet: Ich kann mich mit dem Satz „Soldaten sind Mörder“ nicht vorbehaltlos identifizieren. Für mich sind die Soldaten der Roten Armee, die Ausschwitz befreit haben oder die amerikanischen Soldaten, die Dachau befreit haben, keine Mörder, sondern Retter. Deutsche Soldaten haben dagegen in diesem Jahrhundert fast ausnahmslos unendliches Leid über andere Völker und nicht zuletzt über ihr eigenes Volk und sich selber gebracht.

Heute fliehen Menschen aus Ländern in denen Krieg herrscht, zu uns und suchen Asyl. Und wir sollten uns bewußt sein, daß an vielen dieser Kriege deutsche Firmen und deutsche Banken beteiligt sind und davon profitieren.

Menschen wie Gerti tun alles, um diese Flüchtlinge zu unterstützen! Viele Steine werden ihr und ihren Mitkämpfern in den Weg gelegt und einer von ihnen, der Sprecher des bayerischen Flüchtlingsrats, hat heute zu mir gesagt, wie unendlich es wohltuend ist, daß Du, liebe Gerti, trotz der mühevollen und oft von Rückschlägen begleiteten Arbeit nie Dein sonniges Gemüt und Deine Heiterkeit verlierst.

Auch wir hoffen, daß Du niemals Deinen Optimismus verlierst und daß Du auch in Zukunft so geradlinig bleibst.

Und wir haben noch die Bitte an Dich: daß Du bei all Deinem Einsatz nicht vergißt, auch auf Dich zu achten und Deine Gesundheit zu schonen. Erst vor kurzem hast Du einen sehr schmerzhaften Bandscheibenvorfall erlitten. So hat es schon fast eine doppelsinnige Bedeutung, wenn Dir heute der Preis für aufrechten Gang verliehen wird und wir hoffen, daß Du diesen aufrechten Gang auch künftig in jeder Hinsicht weitergehst.

Christine Roth

Weitere Informationen:

Festakt

Rede der Preisträgerin Gerti Kiermeier

Ankündigung und Begründung der Preisvergabe

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