Keine Zensur in städtischen Räumen
An die Stadträtinnen und Stadträte
des Verwaltungs- und Personalausschusses des Stadtrats der LHSt München
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Mehrheitsfraktionen von SPD und CSU im Stadtrat wollen mit der Vorlage „Gegen jeden Antisemitismus!“ 14-20 / V 10165 die vom Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit in städtischen Räumen einschränken. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger aus München und Umgebung frei und demokratisch diskutieren dürfen – auch über die Besatzungs- und Siedlungspolitik der israelischen Regierung und ihre Folgen für das palästinensische Volk.
Art. 5 (1) des Grundgesetzes gebietet: „Eine Zensur findet nicht statt“.
Wir protestieren gegen die Unterstellung, hinter der Kritik an der israelischen Regierung verberge sich in Wahrheit eine antisemitische Gesinnung. Wir verurteilen Rassismus, Nazi-Terror und Antisemitismus. Wir bejahen das Existenzrecht des Staates Israel. Wir wehren uns dagegen, mit Juden-Hassern und Rassisten in einen Topf geworfen zu werden, weil wir uns auch für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes einsetzen.
Alle internationalen Bemühungen um eine Lösung des Nahost- Konflikts sind gescheitert. Deshalb ist vor mehr als zehn Jahren auf Initiative palästinensischer Friedensgruppen weltweit eine zivilgesellschaftliche Bewegung entstanden, die versucht, die israelische Regierung zum Einlenken zu bewegen. Boykott wird international von vielen Staaten als gewaltfreies Druckmittel eingesetzt, wenn es zum Beispiel um Russland, Iran oder Kuba geht, oder früher um Südafrika. Wer sich jedoch wie die Münchner “Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe” im Falle Israels für einen zeitlich befristeten Boykott bis zum Ende der Besatzung ausspricht, wird in der Stadtratsvorlage als “antisemitisch” diffamiert. Diese Unterstellung ist haltlos: Gerade diese Gruppe bemüht sich seit 1985 um ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander von Israelis und Palästinensern im Nahen Osten.
Sollte die von SPD und CSU eingebrachte Vorlage beschlossen werden, dann könnten viele internationale Referenten, z.B. auch der israelischen Friedensbewegung, nicht mehr in städtischen Räumen auftreten. Der Vortrag „50 Jahre israelische Besatzung“, den der israelische Journalist Gideon Levy (Haaretz) im Mai im Gasteig hielt, wäre künftig nicht mehr möglich. Selbst der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu dürfte nicht mehr im Gasteig sprechen.
Der Humanistischen Union werden jetzt schon städtische Räume für die Preisverleihung „Aufrechter Gang“ an Judith und Reiner Bernstein verwehrt mit dem Hinweis auf die “Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe”. Wer mit falschen Begründungen Auftrittsverbote erlässt, beschädigt die Demokratie. Demokratie lebt von kontroversen Diskussionen.
Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Berlin, hat kürzlich treffend festgestellt: „Wer Antisemitismus ruft, wo keiner ist, der schadet dem Kampf gegen den Antisemitismus.“
Wir sind in großer Sorge um die Informationsfreiheit in München. Deshalb appellieren wir an Sie: Stimmen Sie der Vorlage 14-20 / V 10165 in dieser Form nicht zu!
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Killinger für den Vorstand
Wolfgang Killinger, Dr. Hansjörg Siebels-Horst, Wolfgang Stöger