Aufforderung zum Exodus: Kirchen sollen sich vom Staat trennen
Bei einer symbiotischen Partnerschaft ist die Angst vor einer nötigen Trennung immer besonders groß. Ist die Trennung erst einmal vollzogen, geht es den beiden Partnern zu ihrer Überraschung dann zunehmend besser. Diese menschliche Erfahrung kann – so die Psychologin Ursula Neumann (Humanistische Union) – auf die Beziehung zwischen Kirche und Staat übertragen werden.
Die Forderung nach einer gütlichen Trennung von Staat und Kirche war Thema einer gemeinsamen Tagung von Petra Kelly Stiftung und Humanistischer Union am 6. November im Literaturhaus in München.
Das Grundgesetz legt fest: Es besteht keine Staatskirche. Formal sieht das in der deutschen Praxis jedoch gänzlich anders aus. Die Vorgabe der Weimarer Verfassung vor 80 Jahren, die Staatskirche aufzuheben, stürzte die Kirchen in ein (wohl gepflegtes) Trauma, aus dem sie noch immer nicht herausgefunden haben. Sie klammern sich an ihre geldbringenden Privilegien, die ihnen der Staat gewährt und vernachlässigen die Maxime ihres Gründers.
Gerade in Bayern ist die Beziehung Staat – Kirche besonders eng, das hat zuletzt der erbitterte Kampf ums Kruzifix im Klassenzimmer gezeigt. Der Kirchenrechtler Prof. Johannes Neumann (Humanistische Union): „Auch der Staat profitiert von dieser Partnerschaft: dient doch die Religion zur übersinnlichen Legitimation der Macht. Wenn die christlichen Gewissen aufstehen und gegen für ungerecht gehaltenen Maßnahmen protestieren, kann sich der Staat darauf verlassen, daß die kirchlichen Hierarchen auf seiner Seite stehen und ihre eigene gläubige Basis alleine lassen, wie z.B. im Kosovo-Krieg geschehen.“
Bundesweit ist durch die staatliche Erhebung der Kirchensteuer und die von Bund, den Ländern und Kommunen finanzierten vielfältigen Subventionen der Kirchen die finanzielle Verflechtung und Abhängigkeit unkontrollierbar und unübersichtlich geworden. Diese Alimentierung der Kirchen durch den Staat wurde von Prof. Neumann offengelegt.
Die Kirchensteuer ist der Sache nach ein Mitgliedsbeitrag, den die Kirchen allerdings nicht selbst – wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen – erheben, sondern durch den Staat eintreiben lassen. Solches ist in dieser Form von der Verfassung nicht vorgeschrieben. Das zwingt alle Steuerpflichtigen, ihr Bekenntnis/Nichtbekenntnis sowohl dem Staat als auch ihrem Arbeitgeber zu offenbaren, eine weitere Verletzung des Grundgesetzes zu Gunsten der Kirchen.
Nicht die Kirchen und ihre Verbände finanzieren das deutsche Sozialsystem, vielmehr sind es die öffentlichen Träger, die Kassen und Versicherungen sowie die Nutzer, die insgesamt mehr als 90% der Kosten aufbringen. Gleichwohl haben die Kirchen als Arbeitgeber und Unternehmer in diesen Betrieben das Sagen, bis in das Privatleben ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Bund, Länder und Kommunen subventionieren die Kirchen jährlich – vorsichtig geschätzt – mit etwa 13 Milliarden DM für verschiedenste kirchliche Belange. Dazu zählen der Religionsunterricht, die Theologen-Ausbildung an den Hochschulen, kirchliche Kindergärten, Militärseelsorge, die Gehälter der oberen Hierarchen des Klerus u.v.a.m. An der Finanzierung aller dieser Beträge zu Gunsten der Kirchen sind auch die nicht-christlichen Steuerbürger beteiligt, ohne sich dem entziehen zu können.
Seit 50 Jahren fordert das Grundgesetz vom Staat, diese Leistungen abzulösen. Da es um die Kirchen geht, ist dieser Auftrag verdrängt worden. Keineswegs darf der Staat neue Verpflichtungen eingehen. Gleichwohl sind sowohl in den alten als erst recht in den neuen Bundesländern jede Menge kostenträchtiger Verträge und andere Rechtstitel begründet worden. Das ist schlicht verfassungswidrig! Nach Aussage der katholischen Kirche selber, könnte sie auch ohne Kirchensteuer überleben „bis ans Ende der Welt“. Sie verfügt hierfür über genügend Besitz, der jährlich mehr als 5 Milliarden DM einbringen dürfte.
Gerade jetzt, beim Streit der Bischöfe, wird wieder deutlich, daß die Aufgaben und Interessen von Staat und Kirche nicht vereinbar sind. Es ist z.B. in der Öffentlichkeit wenig bekannt geworden, daß die bisher gültigen Bischöflichen Richtlinien zur Schwangerschaftsberatung eklatant gegen die staatlichen Beratungsvorschriften verstoßen. Weder wird das gesetzlich vorgeschriebene Recht, anonym zu bleiben, gewahrt noch die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren respektiert.
Die Kirchen widersetzten sich jahrzehntelang einem liberaleren Abtreibungsrecht, auf ihren Druck hin kam die unwürdige Zwangsberatung ins Gesetz, und jetzt steigt die katholische Kirche aus dieser Beratung aus. Das Vorhaben, die Beratung auf „Donum Vitae“ zu übertragen, hält Ursula Neumann für rechtswidrig. Eine solche „katholische Beratung“ geschähe weiterhin im Namen der Kirche, unterstünde damit der bischöflichen Aufsicht und könnte nach dem eindeutigen Machtwort aus Rom von den Bischöfen nicht geduldet werden. Die Konsequenz für Frau Neumann: „Die katholische Beratung ist tot, der Totenschein ist nur noch nicht ausgestellt“.
Von der Wiege bis zur Bahre geht der Einfluß der christlichen Kirchen auf alle Mitbürger, seien sie nun gläubig, andersgläubig oder gar nicht gläubig. Immerhin sind nur noch 69% der Gesamtbevölkerung Christen, in deutschen Großstädten und in Ostdeutschland noch viel weniger. Warum braucht Vater Staat die Mutter Kirche, um die Kinder zu erziehen? Warum christliche Kindergärten? Die Trägerschaft spielt bei der Entscheidung der Eltern keine große Rolle, es ist ihnen meist wichtiger, daß der Kindergarten kleine Gruppen und ein freundliches Haus in Wohnungsnähe hat.
Nicht nur nichtchristliche Schüler haben ein Kruzifixproblem, auch nichtchristliche Lehrer können nicht gezwungen werden, unter dem Kreuz zu unterrichten. Kirchlicher Religionsunterricht, für den sich kaum noch Schüler interessieren, soll nicht mehr in den staatlichen Schulen stattfinden, sondern freiwillig im Pfarrhaus oder in der Moschee. Statt dessen wäre es sinnvoll, ein neutrales Fach „Religionen, Ethik und Weltanschauungen“ einzuführen.
Eine abendländische Ethik muß nicht unbedingt den 10 Geboten entsprechen. Hier wurde von Ruth Paulig, der christlichen Moral die Ethik der zivilen Bürgergesellschaft an die Seite gestellt, die ein Engagement für den Mitmenschen auf dem Fundament der Grundrechte postuliert. Ruth Paulig appellierte an die Kirchen, nicht zu warten, bis der Staat aktiv wird. Die Kirchen sollten von sich aus die Scheidung einreichen.
In der Trennung läge auch eine große Chance für die Kirchen, bestätigte der Theologe Wolfgang Ullmann. Er prophezeite ein baldiges Ende des engen Verhältnisses schon allein durch die Fortentwicklung Europas: der mit dem Euro verbundene strengere Datenschutz und vereinheitlichte europäische Steuergesetze würden die in Deutschland übliche Erhebung der Kirchensteuer in Zukunft unmöglich machen. Aus seiner persönlichen Erfahrung als Pfarrer in der DDR folgerte er, daß die stabilisierende Duldung des Staates durch die Kirchen nicht nur in der DDR sondern in allen totalitären Systemen dieses Jahrhunderts die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Kirchen untermauert.
Den abschließenden Höhepunkt der Tagung bildete das Manifest zum dritten Jahrtausend von Carl Amery. Er malte wortgewaltig ein Menetekel an die Wand: Das Bild vom Mammonismus, dem gierigen Ungeheuer, das profitorientiert all unsere Ressourcen verschlingt und die Menschen in erbitterte Verteilungskämpfe stürzen wird. Wenn es überhaupt noch eine Überlebenschance für die Kirchen geben soll, müßten sie sich von den „gottfeindlichen Systemen trennen, aus dem Sklavenhaus ausziehen und engagiertes Zeugnis gegen die Zerstörung der Welt ablegen.“ Diese Prophetenrolle könnten sie aber nur übernehmen, wenn der Exodus der Kirche aus dem Staat vollzogen wird. In Form einer Denkschrift wird Carl Amery dieses Manifest den beiden Kirchen vorlegen.
Vortrags-Manuskripte zum Runterladen:
Johannes Neumann: Es besteht keine Staatskirche – oder: Papier ist geduldig (150 KB, pdf)
Johannes Neumann: Die Kirchen und das liebe Geld (162 KB, pdf)
Ursula Neumann: Von der Wiege bis zur Bahre (258 KB,pdf)
Foliensatz zum Referat von Ursula Neumann 1,1 MB, pdf)
Carl Amery: HÖCHSTE ZEIT – Ein gütlicher Vorschlag (95 KB, pdf)