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"Demokra­tie-­Er­klä­rung" ist verfas­sungs­widrig

22. Juli 2011

Offener Brief an den Oberbür­ger­meister und den Stadtrat der Landes­haupt­stadt München

Als Einrichtungen und Initiativen Münchens, die für ihre soziale und kulturelle Arbeit städtische Fördermittel erhalten, fordern wir Sie dazu auf, den Antrag der CDU vom 25.03.2011 auf Einführung einer Extremismus-Klausel für München abzulehnen. In dem Antrag wird gefordert, dass alle EmpfängerInnen städtischer Fördermittel folgende Erklärung unterschreiben.

1. Teil der Extremismusklausel:
„Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.“

Eine kritische Haltung – auch gegenüber dem Staat und seinen Organen – einzunehmen, gehört zum Wesen einer lebendigen Demokratie und fällt in den Schutzbereich des Grundgesetzes. Diese Position vertritt auch Harald Georgii vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in seinem Gutachten vom 13.01.2011. Dort führt er zum verlangten „Bekenntnis“ aus: „Eine bestimmte Meinung nicht zu haben bzw. nicht äußern zu wollen, fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.  Die Meinungsfreiheit, die ihrerseits konstituierend für die Demokratie ist, lässt selbst eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zu.“ Und gleich das VG Köln im Fall Gössner (s. auch unten). Darin heißt es: „Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ist ebenso erlaubt wie die Forderung, tragende Bestandteile der Verfassung zu ändern. Dementsprechend reicht die bloße Kritik an Verfassungswerten als Anlass nicht aus, um eine verfassungsfeindliche Bestrebung zu bejahen.“

Des Weiteren fordert die CSU, folgende Erklärung zu unterschreiben:

2. Teil der Extremismusklausel:
„Als Träger der geforderten Maßnahme haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Trägern, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür zu Sorge zu tragen, dass die als Vertragspartner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten.“

In der Praxis bedeutet das, dass die ZuschussempfängerInnen der Stadt München zur Zensur- und Kontrollinstanz gemacht werden sollen. Diese Rolle wollen wir nicht einnehmen.
Als Grundlage bei der Auswahl von z. B. ReferentInnen sollen u. a. die „Erkenntnisse“ des Verfassungsschutzes dienen. Wie leicht man dabei ins Visier des Verfassungsschutzes gerät, zeigen nicht zuletzt die exemplarischen Fälle von a.i.d.a. und Dr. Rolf Gössner. Im a.i.d.a.-Fall entschied der BayrVerwGH am 23.09.2010, dass die Einordnung als „linksextremistisch“ nicht gerechtfertigt ist.. Dabei wurden die Verfasser des Verfassungsschutzberichtes klar in die Schranken verwiesen. So sagt das Gericht in seiner Urteilsbegründung eindeutig, dass „der Bericht über a.i.d.a. Ein auch nicht ansatzweise durch tatsächliche Anhaltspunkte nachvollziehbares Negativurteil enthält. Im Fall Dr. Gössner urteilte das VG Köln am 3.02.2011, dass die geheimdienstliche Dauerbeobachtung über 38 Jahre des Rechtsanwaltes, Publizisten und Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte rechtswidrig war.

3. Teil des Extremismusklausel:
„Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch Gewährung materieller und immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.“

Der Dritte Teil der Klausel erscheint als irrationaler Höhepunkt des CSU-Antrags. Was soll es denn bedeuten, dass man den Anschein vermeiden soll, extremistischen Strukturen Vorschub leisten zu wollen? Es gibt keine gesetzliche Definition, was „Extremismus“ ist. Was also ist verdächtig, was ist demokratisch oder undemokratisch, was ist Demokratie, wer darf bei der „Zivilgesellschaft“  mitspielen, wer ist „extremistisch“ oder muss „leider draußen bleiben“? Eine Extremismusdefinition à la Verfassungsschutz bedeutet die inakzeptable Gleichsetzung von Gesellschaftskritik mit rechtsradikaler menschenverachtender Gewalt.
Bzgl. des „Anscheins“ lässt sich nur sagen, dass dabei nicht einmal gefragt wird, ob die Unterstützung überhaupt wirklich stattfindet. Nach dem Motto: Anschein erweckt, obwohl Unterstützung nicht erfolgt – trotzdem Fördermittel gestrichen.

Sollten wir diese Erklärung nicht unterschreiben, würden uns die Leistungen gestrichen. In diesem Falle müssten viele Einrichtungen ihre Arbeit einstellen. Die Stadt München würde ihre Vielfalt im sozialen und kulturellen Bereich einbüßen. Vor allem dem ehrenamtlichen Engagement würde der Boden entzogen.

Wir wenden uns hiermit in aller Deutlichkeit gegen die Vorlage einer „Demokratieerklärung“. Wir betrachten sie als Entmündigung aktiver Mitglieder der Gesellschaft, als Bevormundung von Menschen und Initiativen, die selbstbewusstes und unabhängiges Denken und Handeln fördern. Dieser Versuch der staatlichen Kontrolle von gesellschaftskritischen Meinungen ist zutiefst undemokratisch.

Wir verweisen auf: Wissenschaftliche Dienste des Bundestages (Harald Georgii) v. 13.01.2011, Gutachten des Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Dr. Battis v. 29.11.2010 und Vorwort von Friedrich C. Burschel in: „Gegnerbestimmung“ von Markus Mohr/Hartmut Rübener, Unrast Verl. Münster 2010.

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