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Prozess gegen verdachts­loses Kfz-Kenn­zei­chens­can­ning in Bayern geht in die zweite Runde am 10.12.2012

05. Dezember 2012

Am Montag, den 10.12.12 um 10 Uhr, Sitzungssaal 3 im EG, wird der Verwaltungsgerichtshof München öffentlich über die Berufungsklage eines Autofahrers gegen den millionenfachen verdachtslosen Abgleich von Kfz-Kennzeichen in Bayern verhandeln. Der Kläger Benjamin Erhart, vertreten durch den Freiburger Rechtsanwalt Dr. Kauß, will verhindern, dass Autofahrer auf bayerischen Straßen massenhaft und ohne jeden Anlass von automatischen Kfz-Kennzeichenlesegeräten überwacht werden.

RA Dr. Kauß: „Mit einer beispiellosen Massenkontroll-Technologie wird der öffentliche Verkehrsraum gleichsam mit dem Mäusekamm durchgekämmt. Die massenhafte Kontrolle unschuldiger Bürgerinnen und Bürger wird zum Fahndungsprinzip erhoben und wird ständig erweitert.“

„Millionen Euro werden in Systeme gesteckt, deren Nutzen gegen Null geht, deren wirtschaftlicher und sozialer Schaden für die Gesellschaft aber auf der Hand liegt“, so der Kläger Benjamin Erhart. „Wer dauerüberwacht wird, bekommt kaum mehr Sicherheit, aber sicher mehr Überwachung und damit weniger Freiheit. Dem möchte ich mit meiner Klage etwas entgegensetzen und dem bayerischen Staat dabei helfen, seine Prioritäten wieder richtig zu setzen, so wie andere Bundesländer das bereits getan haben.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat den bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten Dr. Petri geladen. Der oberste bayerische Datenschützer hatte im letzten Tätigkeitsbericht bemängelt, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung nicht ausdrücklich auf Stichproben beschränkt worden ist.

Die bayerische Staatsregierung hat vor Gericht bereits einräumen müssen, dass die umstrittenen Scanner zu fast 99% unschuldige Autofahrer melden, im Wesentlichen bedingt durch sog, „Syntaxfehler des Systems“ bei der Erfassung von Kfz-Kennzeichen.

Hintergrund:

Autofahrer in Bayern werden derzeit an 12 Standorten auf 30 Fahrspuren automatisch überwacht (11 Standorte auf Autobahnen, ein Standort an einer Bundestraße). Monat für Monat werden so 8 Mio. Fahrer und Fahrerinnen ohne jeden Anlass darauf überprüft, ob ihr Fahrzeug vielleicht zur Fahndung oder zur „polizeilichen

Registrierung“ oder Beobachtung ausgeschrieben ist. 185 Fahrzeuge pro Minute werden in Bayern gerastert. 40.000 – 50.000mal monatlich (56-69mal pro Stunde) melden die Geräte der Polizei das Antreffen eines gesuchten Fahrzeugs. Nur 500-600mal monatlich (also maximal 1,5%) liegt aber tatsächlich ein Treffer vor und wird eine polizeiliche Maßnahme veranlasst. Gemessen an allen gerasterten Fahrzeugen liegt die gemeldete Trefferquote bei 0,03%. Diese Erfolgsquote liegt nachweislich nicht höher als bei einer zufälligen Kontrolle beliebiger Fahrzeuge (z.B. Schleierfahndung). 1 Mio. Euro hat Bayern für die umstrittenen Geräte ausgegeben, von den mit ihrer Bedienung verbundenen Personalkosten nicht zu reden.

2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht das hessische und ein schleswig-holsteinisches Gesetz zum Kfz-Massenabgleich für verfassungswidrig und daher nichtig. Der schleswig-holsteinische Innenminister Lothar Hay gab daraufhin bekannt, er verzichte auf eine Neuregelung, denn das Kfz-Scanning binde Personal, das an anderen Stellen sinnvoller für operative Polizeiarbeit zum Schutze der Bürger eingesetzt werden könne. „Das Kfz-Scanning hat sich als

ungeeignetes Instrument zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erwiesen“, so Hay damals. Bremen, Saarland und Rheinland-Pfalz haben entsprechende Regelungen seither ersatzlos gestrichen. Gegen verbleibende Gesetze in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Hessen sind Verfassungsbeschwerden bzw. Klagen anhängig.

Hauptziel der automatischen Kennzeichenüberwachung war die Bekämpfung des KFZ-Diebstahls. Die Zahl der gestohlenen Fahrzeuge ist – auch ganz ohne die automatische Kennzeichenüberwachung – seit Jahren stark rückläufig: Während 1993 noch ca. 230.000 Diebstähle von Kraftfahrzeugen polizeilich registriert wurden, waren es 2011 nur noch rund 41.000 Kfz-Diebstähle, was einem Rückgang um 82% entspricht.

Der Automobilclub ADAC fordert ein „Recht auf datenfreie Fahrt“.[1] ADAC-Vizepräsident Ulrich Becker kritisiert: „Die Kontrollen finden zum ersten Mal verdachtsfrei und bei allen Fahrzeugen statt. Der Bürger wird also unter Generalverdacht gestellt.“[2] Ein vom ADAC in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten[3] des Kasseler Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Alexander Roßnagel kommt zu dem Ergebnis, dass keines der bestehenden Gesetze zum Kfz-Massenabgleich

mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Vertretung des Klägers hat der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß – Landesvorstand der Humanistischen Union Baden-Württemberg – übernommen, der bereits für die erfolgreichen Kläger gegen den Kfz-Massenabgleich in Schleswig-Holstein und Hessen vor dem Bundesverfassungsgericht aufgetreten war. Die Humanistische Union hatte diese Verfassungsklage unterstützt, siehe

bawue.humanistische-union.de/texte/detail/back/texte/article/ueberwachung-von-autofahrern-gestoppt-gesetzgeber-muessen-erneut-nachsitzen/

Fußnoten:

[1] www1.adac.de/Verkehr/verkehrsexperten/glaeserner_autofahrer/default.asp

[2] www.adac.de/_mmm/pdf/ga_ks_04_st0409_scanning_von_pkwkennzeichen_49302.pdf

[3] www.adac.de/_mmm/pdf/ga_ks_05_expertise0409_adac_gutachten_kurzfassung_49296.pdf

Diese Pressemitteilung und weitere Informationen im Internet:

www.daten-speicherung.de/index.php/category/datenschutz-im-staat/kfz-kennzeichenscanning/

Schriftsätze zum Verfahren:

www.daten-speicherung.de/index.php/bayern-kfz-massenabgleich-verursacht-in-99-von-100-fallen-fehlalarm/

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