"Unter Generalverdacht"
München – Die bayerische Polizei hat mit automatisierten Kennzeichen-Erfassungssystemen allein im Sommer vergangenen Jahres Monat für Monat die Nummernschilder von rund acht Millionen Fahrzeugen aufgezeichnet. Gegen diese Praxis, die nach wie vor angewandt wird, klagt der Softwareentwickler Benjamin Erhart aus dem niederbayerischen Abensberg vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. Für den 33-jährigen stellt die automatisierte Kennzeichen-Erfassung einen „Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ dar. Die Polizei nutzt die umstrittene Überwachungsmethode seit 2006. Aufgezeichnete Kennzeichen werden mit solchen aus einer „Fahndungsdatei“ abgeglichen. Meldet das System keinen „Treffer“ würden die Daten des erfassten Kennzeichens sofort und unwiderruflich gelöscht, versichert die Polizei.
Der Kläger, ebenso wie sein Vertreter, der Freiburger Rechtsanwalt Udo Kauß vom Landesverband der Humanistischen Union Baden-Württemberg, bezweifeln dies. Kauß nennt die automatisierte Kennzeichnung-Erfassung eine „beispiellose Massenkontroll-Technologie“. Unbescholtene Bürger würden damit unter „Generalverdacht“ gestellt. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht München die Klage abgewiesen, die Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) jedoch zugelassen. Nach Angaben der Humanistischen Union unterstützt der ADAC die Berufung finanziell.
Vor einem Jahr hatte sich der VGH erstmals mit dem Thema befasst. Ein Vertreter des bayerischen Innenministeriums räumte damals ein, dass sich an dreizehn Standorten, vor allem auf Autobahnen, Erfassungssysteme befänden. Wo genau, sagte er nicht. Die Anlagen sind in den Schilderbrücken über den Fahrbahnen installiert und rund um die Uhr in Betrieb. In der Verhandlung an diesem Montag diskutierten die Richter des 10. Senats vor allem die rechtlichen Problematik der automatisierten Kennzeichen-Erfassung sowie technische Aspekte der Datenerfassung. Der Vertreter des Freistaats Bayern, Landesanwalt Johannes Unterreitmeier, verwies darauf, dass durch die vorgeschriebene „unverzügliche automatisierte Löschung der Kennzeichen“ kein Bezug zu einem unbescholtenen Halter eines Fahrzeugs hergestellt werden könne. Auch im Nachhinein sei dies technisch nicht möglich. Der Kläger bestreitet dies. „Es kann nichts rückstandsfrei gelöscht werden“, sagte der 33-jährige Softwareentwickler.
Als Sachverständigen hatte das Gericht unter anderem den Landesbeauftragten für Datenschutz, Thomas Petri, geladen. Er verneinte, dass Bürger durch die automatisierte Kennzeichen-Erfassung unter Generalverdacht gerieten. Gleichwohl sei es ein „Problem“, so Petri, dass die Anonymität Unschuldiger unter Umständen aufgehoben werden könne. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht noch aus.