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Vorrats­da­ten­spei­che­rung - Florian Ritter klagt vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt

07. Mai 2016

Florian Ritter erklärt dazu folgendes:

Nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestags am 16.10. 2015 und der Zustimmung durch den Bundesrat am 06.11. 2015 ist die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung noch nicht beendet. Es ist zwar anzuerkennen, dass mit dem federführend vom Bundesjustizministerium erarbeiteten Gesetz erstmals der Versuch unternommen wurde, einzelne Kritikpunkte von Verfassungsgerichten und Kritikern der Vorratsdatenspeicherung an der umfassenden Überwachung der Bürgerinnen und Bürger aufzugreifen. Die verfassungsrechtliche Debatte und die beharrliche Gegenwehr gegen die VDS hat damit durchaus Wirkung gezeigt.

Trotzdem stelle ich fest, dass durch dieses Gesetz die unkontrollierte Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen ermöglicht wird. Der Bundesgesetzgeber hat die Möglichkeit geschaffen, dass auch die sonstigen Sicherheitsbehörden der Länder auf die gespeicherten Daten zugreifen können. Die Bayerische Staatsregierung nutzt diese Regelung um in einem Gesetzentwurf dem Landesamt für Verfassungsschutz Zugriff auf diese Daten zu ermöglichen. Auf diesem Weg werden alle Schutzfunktionen ausgehebelt, die zu Recht durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs eingefordert wurden. Denn die Weiterleitung der Daten an die Sicherheitsbehörden der Länder sehen keinerlei Rechtsschutz vor.

Ich erinnere an die Geschichte der Vorratsdatenspeicherung und die vorgebrachten Argumente der Befürworter:
Zuerst wurde als Ziel der Überwachung die Verhinderung von geplanten Verbrechen hervorgehoben. Nachdem mehrfach nachgewiesen wurde, dass die VDS hier keine Wirkung zeigt wurde die angebliche Bedeutung für die Strafverfolgung in den Mittelpunkt gestellt. Mit diesem Gesetz wird nun beides eingeführt, unter Nichtbeachtung der Bürgerrechte im Falle präventiver Maßnahmen. Der Zugriff auf die Daten erfolgt in solchen Fällen verdachtslos, anlasslos, ohne richterlichen Vorbehalt, ohne Chance für die Betroffenen jemals über diese Überwachung informiert zu werden und ohne Möglichkeiten des Rechtsschutzes.

Darüber hinaus werden mit dem Gesetz auch weitere, bereits in der Vergangenheit vorgebrachte Bedenken gegen die VDS nicht ausgeräumt.

Aufhebung der Unschulds­ver­mu­tung

Es wird ausschließlich zu polizeilichen und zu Strafverfolgungszwecken eine Datensammlung aller an der Telekommunikation teilnehmenden BürgerInnen (mit Ausnahme des Mailverkehrs) erstellt, ohne dass die weit überwiegende Masse der Betroffenen auch nur mittelbar Anlass zur Strafverfolgung, zu präventiven polizeilichen Maßnahmen oder geheimdienstlicher Überwachung böten. Bisher musste zur Speicherung personenbezogener Daten zumindest ein strafwürdiger Anlass oder ein Anfangsverdacht vorhanden sein. Viele Juristen werten dies als die Umkehrung der Unschuldsvermutung.

Unverhältnismäßigkeit

Nicht diejenigen, die Grundrechte verteidigen, haben sich zu rechtfertigen, sondern diejenigen, die sie einschränken wollen. Je tiefer ein Eingriff ist, umso höher müssen die dadurch geschützten Rechtsgüter sowie die Wirksamkeit und Alternativlosigkeit der Maßnahme sein. Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung haben bisher weder Notwendigkeit noch Wirksamkeit der VDS für Prävention und Strafverfolgung belegt. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht findet weder in nationaler noch internationaler Betrachtung Belege für die Wirksamkeit einer Vorratsdatenspeicherung bei der Verhinderung von Verbrechen oder der Strafverfolgung. Eine Reihe parlamentarischer Anfragen zur Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung zwischen 2008 und 2010 bestätigen dies. Bisher konnten die Strafverfolgungsbehörden die durch eine fehlende VDS entstehenden Lücken in der Ermittlungsarbeit nicht nachweisen. Die Unverhältnismäßigkeit des Gesetzes erweist sich auch beim nächsten Punkt.

Datenabruf nicht nur bei schweren Straftaten

Auf Grund des tiefen Eingriffs der VDS in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts formulieren die Verfassungsgerichte die Anforderung, dass der Datenabfrage besonders hohe Hürden an die Schwere der Straftat zu Grunde liegen müssen. Durch das Gesetz wurde

aber die Regelung geschaffen, nach der alle Straftaten, die mittels Internet begangen werden – unabhängig von der Schwere der Tat – einen Abruf der Daten rechtfertigen können.

Auswirkung auf die Meinungs­frei­heit

„Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtig die (…) Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation (…).“ So die Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht. Das BVerfG hat hierzu die Grundsätze deutlich festgelegt:
“Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“ Ich bewerte die durch den Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung daher als einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung. Die Vorratsdatenspeicherung widerspricht dem Verständnis eines offenen, demokratischen Staates, in dem die Freiheit und Privatsphäre jedes Einzelnen angemessen gewahrt wird.

Aus diesen Erwägungen heraus habe ich mich entschieden, vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen die bestehenden Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung einzureichen.

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