Startseite » Publikationen » Meinungsfreiheit und Kritik an der Politik Israels

Meinungs­frei­heit und Kritik an der Politik Israels

Meinungsfreiheit und Kritik an der Politik Israels

Schon in seinem berühmten „Lüth-Urteil“ von 1958 bezeichnete das BVerfG die Meinungsfreiheit als „schlechthin konstituierend“ für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung (BVerfGE 7, 198 ff.). Geschützt werden durch dieses Grundrecht sowohl Werturteile als auch Tatsachenmitteilungen, „weil und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen“ sind (BVerfGE 61, 8). Das heißt im Umkehrschluss, dass „bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen“ wie z. B. die Leugnung des Holocaust nicht geschützt sind (und in diesem Fall in Deutschland sogar gemäß § 130 Abs. 3 StGB unter Strafe stehen).  

Geschützt sind Meinungsäußerungen unabhängig davon, ob sie begründet oder unbegründet, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, sachlich oder polemisch sind (vgl. z. B. BVerfGE 90, 247).   

Ein Eingriff in das Grundrecht liegt nicht nur dann vor, wenn eine Meinungsäußerung verboten wird, sondern auch dann, wenn die Grundrechtswahrnehmung behindert oder nachteilige Rechtsfolgen daran geknüpft werden (vgl. z. B. BVerfGE 86, 128). Der Grundrechtsbindung unterliegt der Staat nicht nur bei hoheitsrechtlichem Handeln, sondern auch, wenn er in Formen des Privatrechts agiert (vgl. BVerfGE 128, 226 – Fraport). Das ist z. B. der Fall, wenn eine Gemeinde unter Hinweis auf zu erwartende missliebige Meinungsäußerungen die Vermietung eines Veranstaltungsraums verweigert.

Wie alle anderen Grundrechte mit Ausnahme der Menschenwürdegarantie unterliegt auch die Meinungsfreiheit Beschränkungen. Diese ergeben sich aus der sog. Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG: Die Meinungsfreiheit kann nur eingeschränkt werden, sofern es allgemeine Gesetze, das Recht der persönlichen Ehre oder die gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz erfordern.  

Als „allgemeine Gesetze“ im Sinne dieser Bestimmung gelten insbesondere die Straftatbestände der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung (§§ 185 ff. StGB) sowie die verschiedenen Tatbestände der Volksverhetzung (§ 130 StGB mit Ausnahme des Abs. 4 dieser Norm, der die Billigung des NS-Terrorregimes unter Strafe stellt; dazu BVerfGE 124, 300 – Wunsiedel). Nicht jede, auch polemische Kritik am Handeln einer Person ist schon eine Beleidigung, vielmehr müssen alle diese Tatbestände „im Lichte des Grundrechts“ interpretiert werden. Um eine unzulässige „Schmähkritik“ handelt es sich erst, wenn nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern das gezielte Verächtlichmachen der betreffenden Person oder Personengruppe im Vordergrund steht (nicht z. B. bei der Aussage „Soldaten sind Mörder!“ als Kritik am Waffenhandwerk, BVerfGE 93, 266). Um eine Schmähung handelt es sich z. B., wenn „die Juden“ als minderwertige Menschen abqualifiziert und verantwortlich für viele Übel dieser Welt gemacht werden. Solche Schmähungen sind Ausdruck von Antisemitismus, sie können unter bestimmten Voraussetzungen als Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 StGB strafbar sein.

Nicht als Antisemitismus zu werten ist hingegen Kritik an der Missachtung von Völkerrecht und Menschenrechten durch die gegenwärtige Politik des Staates Israel, insbesondere etwa durch die Besetzung palästinensischer Gebiete und den dortigen Siedlungsbau. Immerhin bewegt sich diese Kritik in Einklang mit zahlreichen Stellungnahmen von UNO-Organen, u. a. auch dem Gutachten des IGH von 2004 zum Mauerbau auf palästinensischem Gebiet. Die vom Bundestag proklamierte „Solidarität mit Israel als Bestandteil der Staatsräson Deutschlands aufgrund seiner besonderen Geschichte“ hat politischen Appellcharakter, aber keinen Gesetzesrang und ist schon deshalb auch keine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wer hingegen meint, die Meinungsfreiheit aufgrund politischer Rücksichtnahme beschränken zu dürfen oder zu müssen, gefährdet den Geltungsanspruch dieses Grundrechts und die Freiheit der politischen Auseinandersetzung als Grundlage des demokratischen Prozesses.

Bundesvorstand der Humanistischen Union im November 2017

(Mehr Einzelheiten zum Grundrecht der Meinungsfreiheit bei Dieter Grimm, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, S. 1697 ff.; Andreas Fisahn/Martin Kutscha, Verfassungsrecht konkret. Die Grundrechte, 3. Aufl. Berlin 2018 unter F).   

nach oben