Staatsregierung "duldet" die Bayerische Verfassung.
Wolfgang Stöger, Mitglied im Vorstand des HU-Regionalverbands, führte in die Thematik ein. Er erwähnte, dass Wilhelm Hoegner, SPD-Mitglied, den Entwurf der Verfassung bereits aus seinem Schweizer Exil mitbrachte. Er zitierte das „Münchner Feuilleton“ mit der Aussage, einige Passagen der Bayerischen Verfassung zeigten große Weitsicht, die Realität hinke dagegen etwas hinterher. Bevor er das Wort an die beiden Referenten, Dr. Klaus Hahnzog, Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, und Franz Schindler, Vorsitzender des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen im Bayerischen Landtag, übergab, sprach er noch einmal die vier Punkte aus dem Einladungstext an:
• Was stand drin?
• Was ist übrig geblieben nach der „Aushöhlung“ durch den Bund und die EU?
• Was plant die CSU?
• Welchen Änderungsbedarf gibt es aus bürgerrechtlicher Sicht?
Klaus Hahnzog hob hervor, dass die Bayerische Verfassung – das Original von 1946 ist übrigens verschwunden – in ihrer ursprünglichen Form soziale Grundrechte betont, beispielsweise Art. 106 (…Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung…) oder Art. 161 Abs. 2 (…Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen…).
Franz Schindler bemerkte, dass 1946 bei der Abfassung der Bayerischen Verfassung offenbar auch CSU-Abgeordnete bereit waren, soziale (Grund)rechte mitzutragen, so dass manche sagten, die Verfassung lese sich so, als hätten Papst Franziskus und Fidel Castro an ihr mitgeschrieben. Das heutige Verhältnis der CSU charakterisierte er als „Duldung“ der Bayerischen Verfassung durch die Staatsregierung, als „Taktgeber“ werde die Verfassung von der Regierung nicht betrachtet. Die praktische Bedeutung vieler fortschrittlicher Formulierungen in der Verfassung sei auch deshalb gering, da nach dem Prinzip „Bundesrecht vor Landesrecht“ viele Artikel heute durch entsprechende Bestimmungen des Grundgesetzes ersetzt worden sind. Dies habe seinen Grund nicht zuletzt darin, dass die Bayerische Verfassung alle staatlich relevanten Lebensbereiche, also neben dem Staatsaufbau und den Grundrechten auch das Zusammenleben in der Gemeinschaft und das Wirtschaftsleben regelte, da bei ihrem Inkrafttreten 1946 die Bundesrepublik und ihr Grundgesetz noch nicht existierten.
Franz Schindler wies darauf hin, dass Verfassungsänderungen in Bayern auch nach Zustimmung des Landtags mit 2/3-Mehrheit in einem Volksentscheid von den Bürgern bestätigt werden müsse; das sei ein Grund, warum die Bayerische Verfassung wesentlich weniger Änderungen aufweise als das Grundgesetz.
Einige Änderungen wurden von den beiden Referenten erwähnt:
• 1968 Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule statt der katholischen bzw. evangelischen Bekenntnisschule.
• 1970 Aktives Wahlalter auf 18 Jahre, passives auf 21 Jahre gesenkt.
• 1973 Freiheit des Rundfunks vor zu starker Einflussnahme der Politik verankert (Art. 111 a), Sperrklausel für den Einzug in den Landtag von 10%-Klausel in einem Wahlkreis auf 5% in ganz Bayern gesenkt.
• 1995 Einführung von kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden.
• 1998 Bekenntnis zu Europa (Art.3a), Verlängerung der Legislaturperiode des Landtags von 4 auf 5 Jahre, Abschaffung des Senats, der 2.Kammer des Bayerischen Landtags.
• 2003 Stärkung des Konnexitätsprinzips (Werden den Gemeinden neue Aufgaben zugewiesen, muss der Staat auch für eine entsprechende finanzielle Ausstattung sorgen), passives Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt.
• 2013 Einführung einer „Schuldenbremse“ ab 2020 (Art.82), Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern (Art.3 Abs.2), das Abstimmungsverhalten der Staatsregierung in EU-Fragen kann durch ein Gesetz festgelegt werden (Art.70 Abs.4).
Die Referenten formulierten auch einige Änderungswünsche:
• Die Berufsrichter des Verfassungsgerichtshofs sollten vom Landtag mit 2/3-Mehrheit gewählt werden.
• Einführung eines konstruktiven Misstrauensvotums wie im Grundgesetz.
• Die Integration von Migranten sollte verbessert werden, die Bemühungen der Staatsregierung und der CSU-Mehrheit gehen derzeit eher in die gegensätzliche Richtung.
• Eine Änderung der Mandatsverteilung in den Regierungsbezirken aufgrund der Bevölkerungsverschiebungen.
In der anschließenden Diskussion gab es zahlreiche Verständnisfragen zu bestimmten Artikeln und Regelungen, die auch noch einmal zeigten, dass so manche fortschrittlichen Forderungen leider bis heute nicht erfüllt wurden.