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Bericht über die Tagung "Säkularer Staat und religiöse Werte"

29. November 2008
Dr. Schmidt-Salomon

Dr. Schmidt-Salomon

Dr. Schmidt-Salomon

Prof. Dr. Kreß

Dr. Schmidt-Salomon

Werner Fuß

Die Veranstalter hatten sich zum Ziel gesetzt, im Rahmen der Tagung zu untersuchen, inwiefern zwei zentrale wertkonservative Thesen noch haltbar sind, die zur Privilegierung religiös-christlicher Strukturen hierzulande angeführt werden:

Trifft es 1. zu, dass die sog. westlich-abendländische Kultur auf christlichen Grundwerten fußt und kann es
2. ohne Religion keinen Wertekonsens geben?

Von Anhängern dieser Thesen wird hiervon ja auch die Forderung abgeleitet, dass ein weltanschaulich neutraler Staat nicht selbst Werteunterricht erteilen darf.

Das Publikumsinteresse war enorm, dicht gedrängt verfolgten die etwa 80 z.T. recht jungen, überwiegend allerdings über-40jährigen Tagungsteilnehmer die Impulsvorträge.

Mit großer Frische erläuterte Dr. Schmidt-Salomon zunächst durch einen philosophiegeschichtlichen Parcours, dass die entwickelten westlichen Staaten ihr ethisches Fundament vor allem aus Traditionen der antiken griechischen Philosophie, aus dem Humanismus der Renaissance sowie der Periode der Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert beziehen. Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Erklärung der universellen Menschenrechte am 10.12.1948 infolge der beispiellosen Barbarei durch Faschismus und 2. Weltkrieg. Es sei leichtfertig anzunehmen, die Leitkultur Humanismus UND Aufklärung nicht mehr gegen Anfechtungen aus christlichen, muslimischen oder sonstigen Fundamentalismen verteidigen zu müssen. Es sei insofern zentrale Aufgabe des Staates, durch ein allgemeines, frei zugängliches Bildungswesen und angemessenen Ethikunterricht Grundlagen für einen kulturellen common sense (Thomas Paine) zu schaffen, der mit Lust, neugierig, aber definitiv streitbar für diese Werte einsteht.

Der Vortrag, der hier nur in wenigen Aspekten skizziert werden kann, wurde mit anhaltendem Applaus bedacht. In der anschließenden Diskussion forderten christlich-engagierte Tagungsteilnehmer mehr Differenzierung und kritisierten Schmidt-Salomons Argumentation als zu idealtypisch. Der Referent konnte jedoch mit seinen Antworten auch hier überzeugen: die gut-böse-Konstruktion und die apokalyptischen Seiten monotheistischer Religionen sind grundsätzlich anti-rational und letztlich pseudo-dialogisch.

Prof. Dr. Hartmut Kreß setzte sich in seinem Vortrag zunächst mit dem sog. Böckenförde-Diktum auseinander. Es besagt, dass der freiheitliche, säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Aus heutiger Sicht müsse es, d.h. also auch aus wissenschaftlich-theologischer Sicht, als vormodern und nur-katholisch eingestuft werden. Der Referent plädierte demgegenüber für dialogische Toleranz, um zentrale ethische Fragen – wie sie sich z.B. im Zusammenhang mit Patientenverfügung, Abtreibung, Stammzellenforschung stellen – im Konsens zu beantworten. Er äußerte sich allerdings nicht dazu, welche praktikablen Verfahren seines Erachtens hierfür geeignet wären. Sein Plädoyer für den modernen, weltanschaulich neutralen Staat, der aber z.B. entschieden jedes Kind hierzulande vor Beschneidung schützt, wurde von den Tagungsteilnehmern mit Erleichterung aufgenommen.

Aus dem Kreis der Tagungsteilnehmer kam Widerspruch dagegen, den Begriff des Humanismus allein aus Entwicklungen der Nach-Reformationszeit zu begründen. Menschenrechte, Menschenwürde könne man nicht allein auf ein säkulares Fundament stellen. Andere Teilnehmer hielten der Tendenz des Vortrags allerdings entgegen, dass autoritäre Erziehung (historisch) maßgeblich christlich geprägt war und das Plädoyer für aktive Toleranz also durchweg konkret und somit rational-verlässlich begründet sein muss.

Die sehr angeregten Gespräche in der Mittagspause, die den großen Wert der ‚informellen Räume‘ bei solchen Tagungen spürbar werden ließ, wurden von Werner Fuß in seinem Vortrag zur aktuellen Praxis der Wertevermittlung an bayrischen Schulen abgelöst. Er fragte, ob man denn ‚gute Menschen produzieren‘ könne, ob sich dies denn ‚messen‘ ließe, und was denn die eigentlichen Inhalte der Wertevermittlung an Schulen sind? Er plädierte für allgemeinen UND praktischen Ethikunterricht als explizites, im Fächerkanon gleichwertiges Schulpflichtfach für alle.

In der aufgeweckten, vielstimmigen Diskussion wurde u.a. klar, dass dies nur tendenziell in Bayern so vorgesehen ist: seit 1978 gibt es zwei Stunden Ethik-Unterricht pro Woche in jeder Schulstufe, Pflicht jedoch nur für die Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Diese Regelung wurde eingeführt mit Unterstützung der Kirchen (Geistliche müssen Religionsunterricht geben). Ethik wird derzeit fast nur von Autodidakten unterrichtet. Sie haben in der Praxis nicht selten mit Benachteiligungen durch den Stundenplan zu kämpfen, während kirchenseits erteilter Religionsunterricht durchweg vormittags stattfindet. Auf den Einwand, dass immer komplexere ethische Fragen das Fach womöglich überfrachten könnten, informierte der Referent die Tagungsteilnehmer: selbst neueste Fragen, z.B. im Kontext von Biowissenschaften oder Wirtschafsethik, stehen ‚zur Behandlung‘ in den aktuellen Lehrplänen!

Klug  hat Jadwiga Adamiak die Abschlussdiskussion mit der Frage eingeleitet, was sich denn umgekehrt eigentlich der Staat von den Religionen erwartet? Was denn Religionen ‚haben‘, das dem säkularen Staat bzw. säkularen Bewegungen in der Gesellschaft fehlt? Als darauf eingeworfen wurde: ‚Geld und Privilegien‘ schob das die von viel Restenergie angetriebene Debatten durch eine Vielzahl von Themen. Es wurde dabei u.a. klar, dass Religionen und Kirchen nicht identisch zu sehen sind, dass Institutionen langlebiger als die Intentionen der Menschen sind.
Dem humanistisch und klar säkular orientierten Verfasser dieses Berichts hat ein Appell am Ende der Tagung gefallen: Lachen ist gesund beim Aktivbleiben in all diesen Themen!

 

 

 

 

Das Publikum

 

 

 

 

 

 

 

 

  Heide u. Tim Hering

 

 Jadwiga Adamiak

Vortrags-Manuskripte zum Runterladen:

Dr. Michael Schmidt-Salomon  (109 KB, pdf)

Prof. Dr. Hartmut Kreß  (151 KB, pdf)

Werner Fuß  (89 KB, pdf)

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