Verfassungsschutz abschaffen, staatlichen und alltäglichen Rassismus bekämpfen!
Am 17. April 2013 beginnt der Prozess um die vom Nationalsozialistischen Untergrund verübten Verbrechen, allen voran zehn Morde. Unabhängig von der individuellen, strafrechtlichen Aufklärung und Verantwortung für diese Taten gilt es auch, das Versagen von Polizei und Geheimdiensten in den Blick zu nehmen. Mehrere Bürgerrechtsorganisationen unterstützen deshalb die Demonstration zum Prozessauftakt.
Am Samstag, den 13. April 2013, 13 Uhr in München am Stachus.
Gemeinsame Erklärung von
Humanistische Union e.V.
Internationale Liga für Menschenrechte
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
PRO ASYL
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälte Verein e.V.
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
Am 17. April 2013 beginnt in München der NSU-Prozess, in dem unter anderem zehn Morde aufzuklären sind. Davon unabhängig müssen aus dem Versagen von Polizei und Geheimdiensten weitreichende politische Konsequenzen gezogen werden. Die Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) offenbarte in der Folge eine Masse von Fehlleistungen der Geheimdienste und der Polizei bei der Nicht-Verfolgung der Mordserie. Die Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Landtage Thüringens, Sachsens und Bayerns decken immer neue Skandale auf: Akten waren geschreddert worden, die Verfassungsschutzämter oder – im Falle Berlins – der polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts „vergaßen“ dem Ausschuss V-Leute aus dem Umfeld der Gruppe zu benennen, Informationen wurden nicht weiter gegeben.
Die „Pannen“ und Fehlleistungen, die es zuhauf gegeben hat, hatten jedoch System. Mindestens 17 V-Leute der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des polizeilichen Staatsschutzes waren im Umfeld des NSU und des „Thüringer Heimatschutzes“, aus dem das Trio hervorging, aktiv. Der dem Verfassungsschutz so wichtige „Quellenschutz“ führte praktisch zu einer Deckung der Täter und behindert nun eine umfassende Aufklärung. Es wurden auch V-Leute angeworben und geführt, die in Neonazi-Organisationen eindeutige Führungsrollen innehatten, die ohne jeden Zweifel die politischen Positionen ihrer Gruppen weiter prägten, die auch Straftaten begingen oder begangen hatten und nicht selten gegen polizeiliche Ermittlungen abgeschirmt wurden; die V-Leute des Verfassungsschutzes hatten zum Teil einen enormen Finanzbedarf für sich selbst und ihre Gruppen und erhielten für dessen Deckung von ihren geheimdienstlichen Auftraggebern teils horrende Summen als Honorar. Das mag zwar den offiziösen Handbüchern zum Verfassungsschutzrecht und den offiziellen Vorschriften, die für das Bundesamt und einige Landesämter damals schon galten, zuwider laufen. Es entspricht jedoch der Dynamik eines letztlich unkontrollierbaren V-Leute-Systems, die auch mit einer zentralen V-Leute-Datei und neuen Richtlinien nicht außer Kraft gesetzt wird.
Das „Frühwarnsystem“, als das sich der Verfassungsschutz gerne verkauft, hat das Gewaltpotenzial der Neonazi-Szene systematisch falsch eingeschätzt, ja regelrecht ignoriert. Obwohl die Polizei bei Razzien immer wieder Waffen und Bomben bei Neonazis fand, blieben sie in den Augen des Inlandsgeheimdienstes weiterhin bloße Waffennarren.
Aber auch die Polizei, die in der Mordserie ermittelte, schloss eine rechtsextreme Täterschaft von Anfang an aus. Der institutionelle Rassismus dieser Behörden machte nicht nur blind, sondern führte zu völlig einseitigen und skandalösen Ermittlungen, in denen die Opfer und ihre Angehörigen zu Verdächtigen und potentiellen Tätern wurden. Einwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund erscheinen staatlichen Behörden offensichtlich schnell verdächtig, selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein. Auch die breite Öffentlichkeit pflegt solche Vorurteile.
Dem üblichen Reflex entsprechend, wird als „Konsequenz“ nur weiter an der „Sicherheitsarchitektur“ gebaut. Verfassungsschutz und Polizei sollen noch enger als bisher zusammenarbeiten. Die neue gemeinsame Rechtsextremismusdatei folgt dem Beispiel der Anti-Terror-Datei und soll Informationen aus Polizei und Diensten zusammenführen. Wo aber rechtsterroristische Straftaten gar nicht erst als solche erkannt werden – wie die Morde, Banküberfälle und Bombenattentate des NSU –, da wird auch eine gemeinsame Datenbasis keine blinden Augen sehend machen. Dass sich an den Feindbildern der Inneren Sicherheit auch nach dem NSU-Debakel nichts geändert hat, zeigt sich spätestens daran, dass das im Dezember 2011 eingerichtete Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus knapp ein Jahr später in ein neues Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) eingegliedert wurde, mit dem nun Geheimdienste und Polizei auch gegen „Linksextremismus“, „Ausländerextremismus“, Spionage und illegale Rüstungsexporte kooperieren sollen. Das Trennungsgebot, das besagt, dass Polizei und Geheimdienste strikt zu trennen sind und ein Geheimdienst keine vollzugspolizeilichen Befugnisse und Aufgaben haben darf, wird weiter ausgehöhlt. Im Dezember 2012 hat die Innenministerkonferenz zudem ein umfangreiches Paket zur „Neuausrichtung“ des Verfassungsschutzes beschlossen, das den Inlandsgeheimdienst weiter stärken soll.
Rassismus ist tief im staatlichen Handeln verwurzelt. So gibt es auch in anderen Bereichen gesetzlich vorgesehene Diskriminierung von MigrantInnen (z.B. gekürzte Sozialleistungen für Asylsuchende). Dies stärkt den institutionellen Rassismus, der auch bei den verdachtsunabhängigen Personenkontrollen deutlich wird, die sich vor allem gegen MigrantInnen, gegen People of Colour und Muslime richten.
Noch immer geschehen täglich zwei bis drei rechte Gewalttaten in Deutschland, allein für den Monat Dezember 2012 nannte die Bundesregierung auf Anfrage die Zahl von „vorläufig“ 755 politisch rechts motivierten Straftaten, „davon 43 Gewalttaten und 516 Propagandadelikte“. Rassistische Gewalt und rechter Terror durch Neonazis haben sich in den bundesdeutschen Alltag eingeschrieben und doch bleiben auch heute noch Opfer rechter und rassistischer Gewalt der fatalen Mischung aus Ignoranz, Inkompetenz, Verharmlosung und Vertuschung bei Strafverfolgern und Justiz ausgesetzt, die das Staatsversagen im NSU-Komplex im Zusammenspiel mit institutionellem Rassismus erst ermöglicht haben. Die Gängelung und Beeinträchtigung von antirassistischen Initiativen sowie die anhaltenden Versuche, deren Aufklärungsarbeit sowie den Protest und Widerstand gegen Neonazis zu kriminalisieren, sind ebenfalls in diesem Kontext zu sehen und verschaffen den Neonazis weitere Spielräume.
Während ein neonazistisches Terrornetzwerk mit einem offensichtlich breiten Unterstützerkreis mehr als zehn Jahre lang unentdeckt in Deutschland leben und morden konnte, ist eine öffentliche Solidarisierung mit den Opfern und den Hinterbliebenen bislang weitgehend ausgeblieben. Das betrifft nicht nur geheimdienstlich, polizeilich und politisch Verantwortliche. Dieser Mangel an Empathie auch einer Mehrheitsgesellschaft ist es, der nicht nur die Betroffenen nach wie vor allein lässt, sondern rassistische und rechte Täter zu weiterer Gewalt ermutigt.
Für den Kampf gegen Rassismus und Neonazis braucht es nicht noch mehr geheim(dienstlich)e Überwachung, sondern eine andere Politik mit MigrantInnen und Asylsuchenden sowie eine Polizei, die anders Aussehende und anders Lebende als vollwertige BürgerInnen mit gleichen Rechten behandelt – egal woher sie kommen.
Wir fordern:
Verfassungsschutz abschaffen!
Keine V-Leute – keine verdeckten Ermittlungen!
Staatlichen und alltäglichen Rassismus bekämpfen!