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Überle­gungen zur dringend erfor­der­li­chen Reform des Bayerischen Verfas­sungs­schutzes

Überlegungen zur dringend erforderlichen Reform des Bayerischen Verfassungsschutzes

(Red.) Unser Beiratsmitglied Dr. Klaus Hahnzog beschäftigt sich seit Langem mit Verfassungsfragen, so bereits 1968 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. In letzter Zeit standen für ihn Fragen des Bayerischen Verfassungsschutzes im Vordergrund. 

Zum Jahresbeginn widmeten sich in München zwei außerordentlich gut besuchte Veranstaltungen der Frage nach der Zukunft des Verfassungsschutzes: Anlass war einerseits das Verhalten des Bayerischen Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit den fürchterlichen Morden der NSU-Neonazis, von denen allein fünf in Bayern stattfanden. Andererseits wurde Ende 2011 durch Zufall bekannt, dass der Bayerische Verfassungsschutz die Gruppierung „Rettet die Grundrechte“ von Ver.di bespitzelt hatte. Aus dieser Gruppierung heraus entstand eine Verfassungsbeschwerde von Gewerkschaften, Parteien und NGOs (auch mit Beteiligung der Humanistischen Union Bayern) gegen das Bayerische Versammlungsgesetz (s. Mitteilungen Nr. 202, S. 28), die beim Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Punkten Erfolg erzielte. Ein rechtsstaatlich eigentlich nicht vorstellbarer Zustand: der Freistaat Bayern bespitzelt den zukünftigen Prozessgegner vor dem Bundesverfassungsgericht mit geheimdienstlichen Mitteln. 

Das hier wiedergegebene Manuskript Klaus Hahnzogs stellt vor diesem Hintergrund Eckpunkte für eine Reform der bayerischen „Verfassungsschutzbehörde“ auf.

I.

1. Die Diskussionen legen oft den Schwerpunkt auf das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Das ist eine falsche Gewichtung. Das Landesamt ist nach Art. 1 Abs. 3 Satz 1 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) „eine dem Staatsministerium des Inneren unmittelbar nachgeordnete Behörde“. Das ist aber nicht eine bloße Ressortzugehörigkeit. Der eigentliche Bayerische Verfassungsschutz ist das Ministerium. An ihm und dem verantwortlichen Minister muss sich die Kritik festmachen. Die wesentliche Ausrichtung und wichtige Einzelmaßnahmen sind schon nach dem Gesetz Aufgabe des Ministeriums, etwa die Vorlage des Verfassungsschutzberichtes an den Landtag, die Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums oder Beschränkungsmaßnahmen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Wenn dann Kritik an einzelnen Maßnahmen oder Unterlassungen laut wird, zieht sich der Minister auf Geheimhaltung oder allenfalls Befassung des Parlamentarischen Kontrollgremiums zurück, dessen Mitglieder ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichtet sind.

2. Die Entwicklung gerade in Bayern hat gezeigt, dass das Innenministerium ungeeignet ist, die Verfassung zu schützen. Das Ministerium setzt bei der Abgrenzung verfassungsrechtlich geschützter Grundrechte gegenüber der Sicherheit einseitig auf Letztere und rühmt sich dabei der Vorreiterrolle für die anderen Bundesländer. Das zeigt sich immer wieder darin, dass mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts der fehlende Grundrechtsschutz wiederhergestellt werden muss. Ich selbst habe dies in letzter Zeit in zwei zentralen, lange Zeit diskutierten Fragen erreicht. Die bayerische Regelung über präventive Telekommunikationsüberwachung durch die Polizei wurde für verfassungswidrig angesehen (Beschluss vom 4.11.2010 – 1 BvR 661106). Durch einstweilige Anordnung wurden zentrale Beschränkungen des für unsere Demokratie unentbehrlichen Grundrechts der Versammlungsfreiheit kassiert (Beschluss vom 17.2.2009 – 1 BVR 2492/08).

3. Hinzu kommt eine völlige Ungleichheit bei den Beobachtungen der rechts- und der linksextremistischen Szene im Verfassungsschutzbericht. So führte Innenminister Herrmann im Vorwort zum Bericht 2010 hinsichtlich des Rechtsextremismus lediglich aus, dass bei der angestrebten Fusion von NPD und DVU abzuwarten bleibe, ob hierdurch ein Auftrieb gewonnen würde. Hinsichtlich des Linksextremismus wird dagegen auf den historischen Höchststand an Gewalttaten hingewiesen. Im Text wird dann etwa der Partei Die Linke vorgeworfen, dass sie u.a. die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und weitreichende Beschränkungen des Privateigentums fordere, außerdem weit über den Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft hinausgehe. Dabei ist Allgemeingut, dass die soziale Marktwirtschaft – die ich auch bejahe – keineswegs die einzige vom Grundgesetz geforderte Wirtschaftsform ist. Hinsichtlich der Vergesellschaftung sollte man von „Verfassungsschützern“ eigentlich erwarten können, dass sie Art. 15 GG und Art. 160 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung kennen.
Der gegen Rechtsextremismus offen kämpfende ehemalige KZ-Häftling Ernst Grube musste sich im Bericht 2010 namentlich als Linksextremist diffamieren lassen. Die für den Kampf gegen den Neofaschismus wichtige Institution „Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.)“ wird wie früher auch im Bericht 2011 weiter diskreditiert.

II.

Es wundert daher nicht, wenn verschiedentlich die Abschaffung des Bayerischen Verfassungsschutzes gefordert wird. Das geht aber weder durch Gesetz des Landtags noch durch Volksentscheid. Die Frage des Verfassungsschutzes gehört zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) GG: „die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zum Schutze der freiheitlich?demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz).“
Der Bund hat von seiner Kompetenz in § 2 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz Gebrauch gemacht: „Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund und der Länder untereinander unterhält jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes.“
Das bedeutet aber nicht, dass die bisherige Regelung: Innenministerium plus untergeordnetes Landesamt sakrosankt ist. Vielmehr ist „die Auswahl und Schaffung sowie Struktur und Verfahren einer Landesverfassungsschutzbehörde Teil des originären Landesrechts“ (Maunz-Düring, GG-Kommentar, 51. Auflage, 2007, Art. 73, Rdnr. 245).

Hierzu im Folgenden eine Reihe von Vorschlägen.

III.

Staatliche Aufgaben kann der Gesetzgeber neben Behörden auch öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen übertragen. Vorzuziehen für den Bayerischen Verfassungsschutz wäre die Körperschaftsform. Dabei sind auch Mischformen möglich. So sind Hochschulen Körperschaften öffentlichen Rechts wie auch staatliche Einrichtungen (Lindner in Verfassung des Freistaats Bayern, 2009, Art. 138, Rdnr. 14 und 20 ff.). Je nachdem variieren auch bloße Rechtsaufsicht und Fachaufsicht (vgl. Lindner a.a.O., Art. 55 Rdnr. 90). Behördeneigenschaft auch mit Fachaufsicht käme hier in Betracht für die zusätzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes Scientology, Spionageabwehr und Organisierte Kriminalität.
Eine unmittelbare Ansiedlung des Verfassungsschutzes beim Bayerischen Landtag, wie etwa beim Datenschutzbeauftragten, ist wegen der umfangreichen Aufgabenstellung nicht empfehlenswert, außerdem wird im Weiteren eine Stärkung des Parlamentarischen Kontrollgremiums empfohlen. Die Beibehaltung im Ressortbereich des Innenministeriums wäre kontraproduktiv. Hier sollte nach Art. 49 BV eine Übertragung (Bestimmung durch Ministerpräsidenten mit Bestätigung durch den Landtag) an das Bayerische Justizministerium erfolgen. Dieses hat Erfahrungen mit der Unabhängigkeit der Gerichte und der weitgehenden Zurückhaltung gegenüber den Staatsanwaltschaften. Die Ansiedelung beim Innenministerium hat keinen unabänderlichen Bestand (Lindner a.a.O., Art. 55 Rdnr. 90).

IV.

Um Einseitigkeiten bis hin zu Verfassungsverstößen in Zukunft nach Möglichkeit zu vermeiden, sollte eine Reihe struktureller Vorschriften geschaffen werden.

1. Die Leitung des neuen Amtes sollte einem Präsidenten übertragen werden. Zur Absicherung seiner größeren Selbständigkeit sollte er, wie der Datenschutzbeauftragte, vom Landtag auf Vorschlag der Staatsregierung gewählt werden (vgl. Art. 33a Abs. 1 BV). Er sollte angesichts der Besonderheit des Amtes (s.o. unter III.) allerdings nicht mit völliger Unabhängigkeit ausgestattet werden.
2. Der parlamentarische Einfluss und die Kontrolle sollten gestärkt werden. Da, wo das Parlamentarische Kontrollgremium bisher nur unterrichtet wurde, etwa hinsichtlich der Dienstvorschrift über die nachrichtendienstlichen Mittel (Art. 6 Abs.1 BayVSG) oder der Pflichten der Staatsregierung zur Unterrichtung über Vorgänge von besonderer Bedeutung nach dem Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetz, sollte eine Genehmigung erforderlich werden.

3. Es sollte nach dem Vorschlag des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsschutzamtes Prof. Hans-Jörg Geiger ein Verfassungsschutzbeauftragter samt Personal, ähnlich dem Wehrdienstbeauftragten, geschaffen werden (vgl. SZ vom 14.2.2012).

4. Sinnvoll für eine breite Verankerung im bürgerschaftlichen Bereich – wachsame Bürger sind oft der beste Verfassungsschutz! – wäre ein Beirat mit Mitgliedern etwa von „Gegen das Vergessen – für Demokratie“, „amnesty international“, „Bayerisches Bündnis für Toleranz, Demokratie und Menschenwürde“, „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Ausländerbeiräte“, „a.i.d.a.“.

V.

1. Auf V-Leute sollte in Zukunft verzichtet werden. Wenn auf sie im Fall der gravierendsten Bedrohung, nämlich durch eine möglicherweise aggressiv-kämpferische Partei, jetzt im Vorstandsbereich verzichtet werden soll, ist nicht zu erklären, wieso sie auf unterer Ebene und anderen Organisationen unbedingt rotwendig sein sollen, zumal sie, wie bei NSU, auch nichts erbringen. Für die Bespitzelung wie bei Ver.dis „Rettet die Grundrechte“ oder durch denselben V-Mann bei einer Veranstaltung des Münchner Ehrenbürgers Prof. Dürr sind sie verfassungsschädlich.
Es war ja auch bisher schon äußerst widersprüchlich: Eine Bespitzelung im Telekommunikationsbereich war nur unter engen Voraussetzungen einschließlich einer Genehmigung der unabhängigen G10-Kommission zulässig, die Einschleusung eines V-Manns in die gleiche, sich persönlich treffende Gesprächsrunde dagegen nicht.
Im Übrigen sind Staatsanwaltschaften und Polizei in letzter Zeit – zum Teil übermäßig – auch in Verdachtsfällen mit vielen neuen Ermittlungsmöglichkeiten ausgestattet worden. So ist z.B. der ursprüngliche § 100 StPO (Beschlagnahme) um 9 weitere Paragrafen bis 100i StPO (IMSI-Catcher) und der § 111 StPO (Kontrollstellen) um 15 weitere Paragrafen bis § 111p StPO angewachsen.

2. Die Auskunftserteilung nach Art. 11 BayVSG muss von Einzelpersonen auch auf Gruppierungen erweitert werden. Sonst ergeben sich weiter unhaltbare Ergebnisse. Als ich nach den Presseberichten über die Bespitzelung des Arbeitskreises „Rettet die Grundrechte“ nachfragte, was denn Anlass für die Beobachtung war, erhielt ich vom Landesamt folgende Antwort „Das BayLfV nimmt aber auch Kontakte seiner Beobachtungsobjekte wahr. Insofern muss derjenige, der sich bewusst in ein Aktionsbündnis mit Organisationen begibt, von denen er weiß bzw. von denen bekannt ist, dass es sich um Beobachtungsobjekte des BayLfV handelt, damit rechnen, dass unter die Beobachtung von Extremisten auch deren Bündnistaktik fällt.“
Damit weiß ich heute nicht mehr als zuvor. Selbst wenn ich die unzählig vielen Gruppierungen, die uns die Verfassungsbeschwerde mit vorbesprochen haben, auffordern würde – was ich natürlich ablehne – einen Auskunftsanspruch zu stellen, würden die nur die Antwort bekommen: Gibt’s nicht, da keine Einzelperson.
Es müsste im Übrigen vorgeschrieben werden, dass die Auskunft unverzüglich, spätestens binnen 1 Woche erteilt wird. Ich stand fast 2 Monate nach dem Bericht in der SZ im Regen und wurde auch zum Teil dumm angesprochen.

3. Als ich hinsichtlich dieser 2 Monate nachfragte, ob vielleicht meine ursprünglich gespeicherten Daten wegen des Wirbels in der Öffentlichkeit und im Landtag gelöscht worden seien, erhielt ich vom Landesamt die Antwort: „Wann im Einzelfall eingehende Informationen vor Verarbeitung gelöscht worden sind, ist nicht feststellbar. Könnten wir den Inhalt gelöschter Informationen noch nachvollziehen, würde dies dem Zweck der Löschung widersprechen. Die Löschung nicht erforderlicher Informationen erfolgt jedenfalls sehr zeitnah.“ Hier sind klar nachvollziehbare Regelungen, wie in anderen Bereichen, erforderlich.

VI.

Da der bisherige Bayerische Verfassungsschutz den Schutz der Verfassung mehr behindert und unterläuft als fördert, ist eine Reform dringend erforderlich. Die Diskussion darüber sollte neben in der Öffentlichkeit insbesondere auch im Landtag geführt werden, am besten an Hand eines konkreten Gesetzentwurfs.

Dr. Klaus Hahnzog

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