Laudatio auf Magdalena Federlin

von Ursula Pausch-Gruber

 

Im Oktober hat der Ortsverband München zum zweiten Mal den Preis „Aufrechter Gang“ verliehen; in diesem Jahr an Magdalena Federlin, eine der verurteilten Frauen von Memmingen. Hier Auszüge aus der Laudatio von Ursula Pausch-Gruber:

Ich stelle Ihnen vor Frau Magdalena Federlin, die heute den Preis  „Aufrechte Gang“ von der HUMANISTISCHEN UNION verliehen bekommt. .. und hier stocke ich schon: Ist Magdalena Federlindenn unbekannt?

Ist es nicht vielmehr so, daß die Öffentlichkeit über Frau Federlin mehr weiß, als die Öffentlichkeit, also wir, über das Private eines Menschen wissen dürfen? Ist nicht das Persönliche – ihre Gefühle – während und nach den Schwangerschaften, vor und nach dem Schwangerschaftsabbruch von den Memminger Staatsanwälten in der Gerichtsverhandlung vor aller Öffentlichkeit, vor uns also – ausgebreitet worden? Indiskret, die Menschenwürde verletzend?

Gerade der Aspekt einer zerstörten Privatheit läßt mich weitersprechen: und noch einmal beginnen:
Ich stelle Ihnen Magdalena Federlin vor. Sie war das Sandwich-Kind einer großen Geschwisterreihe; genau das fünfte von acht Kindern. Die Forschung sagt uns einiges über die schwierige, prägende Situation dieser Konstellation.

Magdalenas Lebensweg begann im Landkreis Aichach-Friedberg. Sagt Ihnen das etwas? Ersteht vor Ihrem inneren Auge das katholische Dorf im Schwäbischen? Ein Dorf, in dem jede/r jede/n kennt und wo es die Familie sicher schwer hatte, weil sie nicht wohlhabend war, weil sie einen kleinen Hof hatte? Und trotzdem, Magdalena geht auf das Gymnasium! Ist da schon der Wille erkennbar, aus der Enge auszubrechen, einen eigenen Platz im Leben zu suchen? Daß es so gewesen sein könnte, dafür spricht, daß sie mit 12-13 Jahren nach der Firmung beschließt, bewußt ihr Verhältnis zum kath. Glauben, zur kath. Kirche zu·überprüfen. Die Prüfzeit endet mit der Distanzierung zur Kirche.

Wie haben die Lehrer diese „Unangepaßte“ gesehen, die auf die Barrikaden ging, wenn andere ungerecht behandelt wurden. Es mag ein Glück für Magdalena gewesen sein, daß Mitte der siebziger Jahre auch in Bayern noch etwas zu spüren war vom Hauch der emanzipatorischen Bürgerbewegung der sechziger Jahre und sie deshalb nicht, wie heute so viele, schon vorzeitig aus der Schule gedrängt wurde. Doch nach dem Abitur und der selbstverdienten Weltreise sieht sich Magdalena gefangen: gefangen in der doppelten Falle Liebe und Mutterschaft und die Liebe wird brüchig und Mutterschaft eine unausweichliche Verpflichtung. Die Lebenspläne werden angepaßt. Ein Naturkostladen in Aichach eröffnet, eine selbständige Existenz – doch selbstbestimmt? Finanzielle Sorgen, lange Arbeitszeiten, Krisen in der Partnerschaft, wie lebt frau da? Wie existiert frau da? In einem Umfeld, das sozial total kontrolliert, in Aichach und anderswo auf den traditionellen Rollenteilungen und darauf beharrt, daß Familie und Beziehung privat sind und die gesellschaftlichen Umverteilungsprozesse an den abhängig Beschäftigten und den Frauen und Kindern vorbei laufen. Einer Gesellschaft, die daran festhält, Produktion und Umverteilung gegenüber dem Reproduktionsbereich abzuschotten, die auf der strikten Trennung besteht.

In diesem Überlebenskampf befand sich Magdalena, als sie erneut schwanger wurde. Erinnern wir uns nochmals: 1960 im Lande des Grundgesetzes mit dem Art. 3 Gleichberechtigung und der Garantie der Menschenrechte, Selbstbestimmung und einem seit 1975 reformierten §218 geboren. Konfrontiert mit einer reichen Gesellschaft, die jeden erdenklichen Luxus produziert und jede erdenkliche Menschen vernichtende „Erfindung“ – von der Bombe, KKW bis zu gen-manipulierten Lebewesen – alles „produziert“ von Männern, die – wie der Wissenschaftssoziologe Easleay eindringlich beschreibt – Macht und Sexualität ausleben in ihrem zerstörerischen Drang über die Natur zu herrschen (und Frau ist da eben nach altem Muster ebenfalls Natur). Und eben diese Männer bedürfen doch zu ihrer Reproduktion wieder der Frau oder sogar mehrerer Frauen. Das schätzte Magdalena richtig ein: in dieser patriarchalen und fortschrittsgläubigen Welt würde die volle Verantwortung für ein glückliches Leben ihrer Kinder immer wieder auf sie allein zurückfallen.

Denn das wußte sie auch, und wir alle könnten es wissen: Die herrschenden Partriarchen sind mehr an den Ungeborenen interessiert, die lebenden Kinder und ihre Mütter werden mit Brosamen abgespeist. Doch Magdalena vertraute den erklärten Zielen der pluralen, demokratischen Gesellschaft, wenn schon nicht Gerechtigkeit und Solidarität für die Frauen, so doch wenigstens Selbstbestimmungsrecht.

Selbstbestimmung für diejenige, die die volle alleinige Verantwortung für  ein Kind (wie Richter Falckenberg sagte) 18 Jahre lang übernehmen würde. Sie entschied gegen das werdende Leben. Und das in Bayern. Wir haben nun schon in groben Zügen den Kampf eines Kindes – eines  Mädchens, einer jungen Frau eben – ein selbstbestimmtes Leben – erkennen können. Es vollzog sich jedoch im Privaten. Der Strafbefehl über 2000,- DM wegen illegalen Schwangerschaftsabbruches bedeutet eine Wende.

Viele Frauen haben in Memmingen aus gleichem Anlaß Strafbefehle
erhalten. Sie haben bezahlt und geschwiegen. Magdalena
tut nun den ungeheuren Schritt: Sie durchbricht die Mauer des Schweigens, den Zaun der Scham; sie stellt sich der öffentlichen
Entblößung, die der Prozeß bedeutet. Sie besitzt den Mut einer
Heldin (das Wort „Heldin“ gebrauche ich bewußt) uns teilhaben zu
lassen an dem Innenleben und Innenansichten ihrer Überlebensstrategie.
Wir haben viel gelesen über solche Frauen, viele haben
sich geäußert, schriftlich; aber wenige, zu wenige haben sich ganz
persönlich mit aufrechtem Gang gestellt. Und uns die Möglichkeit
gegeben, mit ihr öffentlich und persönlich solidarisch zu sein.
Grund zum Dank!!

Magdalena hat in der ersten Instanz einen nachdenklichen, einen
„gerechten“ Richter gefunden, er hat sie freigesprochen. Die
Staatsanwälte, forsche Buben, wollen den Sieg der Patriarchen, sie zogen vor die nächste Instanz. Magdalena wird weiter den aufrechten Gang gehen müssen und wir weiter bewußt bleiben der Verantwortung, daß sie für uns alle geht. Denn wir sind alle noch nicht angekommen – nein, viele in dieser Gesellschaft sind nicht einmal auf dem Weg, auf dem Weg zur „Gesellschaft der Freien und Gleichen“, wie August Bebel das Endziel der Frauenemanzipation skizzierte.

Es ist für mich bewegend, daß ich diese Laudatio halten durfte, bewegend
deshalb, weil die Wahl von Magdalena so ganz meiner persönlichen und politischen Überzeugung entspricht, daß die wahren Heldinnen nicht die Großen, die Mächtigen sind, sondern diejenigen, die trotzdem und trotzalledem an dem Menschheitstraum festhalten, daß wir alle mitentscheiden, mitregieren, mitbestimmen können.

Daß dieser Traum wahr werden kann, darin ermutigt uns Magdalena Federlin, die Frau aus der Provinz, die uns herausfordert, mit ihr den Aufrechten Gang zu üben.

Ursula Pausch-Gruber

 

Festakt

Ankündigung und Begründung der Preisvergabe

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