Festakt zur Preisverleihung an Helga Ballauf
Wie seit 1988 jedes Jahr wurde auch in diesem Jahr von der Humanistischen Union der Preis für den „Aufrechten Gang“ verliehen. Preisträgerin war diesmal die engagierte Journalistin Helga Ballauf, der aufgrund einer geheimen Information des Bayerischen Verfassungsschutzes die Teilnahme an einem Staatsakt verweigert wurde. Bel dem Versuch der Aufklärung verlor sie ihre Stelle und erkämpfte sich vor Gericht ihr Recht auf Löschen ihrer Daten. Die Preisverleihung fand am 12.12. in der Seidlvilla statt.
Die gut besuchte Veranstaltung im Mühsamsaal der Seidlvilla begann mit einer einleitenden Rede von Wilhelm Hering von der Humanistischen Union (HU) und setzte sich mit der Laudatio, von Sophie Rieger (MdL Bündnis 90/Die Grünen) fort; an die folgende Preisverleihung und einer kurzen Rede von Helga Ballauf knüpfte sich noch eine Gesprächsrunde mit dem Thema „Mut vor Thronen – Journalistlnnen im Spannungsfeld zwischen Wohlverhalten und Zivilcourage“ mit Julian Gyger (Sprecher der SPD-Landtagsfraktion), Dieter Lattmann (Schriftsteller), Gerd Tersteegen (Anwalt von Helga Ballauf), Helga Ballauf, Sophie Rieger und Wilhelm Hering.
Wilhelm Hering äußerte sich zunächst zur Geschichte und den Grundsätzen der HU. Die HU wurde 1961 vom Münchner Publizisten Gerhard Szczesny als Alternative zur reaktionären Politik der Adenauer-Zeit gegründet. Das Motto, der HU war „die Befreiung des Menschen aus den Fesseln obrigkeitsstaatlicher und klerikaler Bindungen, die Verkündigung der Menschenrechte und Menschenpflichten, der Ausbau von Erziehungs- und Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen . . . die Entfaltung einer freien Wissenschaft, Presse, Literatur und Kunst“ (zitiert nach einer aktuellen Broschüre der HU). Hering erwähnte auch u.a. das Engagement der HU in der Auseinandersetzung um die Abschaffung des §218 StGB, wobei sie das Bundesverfassungsgericht kritisierte und auf rechtliche Freiräume verwies. Er machte klar, daß Bürgerrechte nicht ohne weiteres den Bürgern gegeben würden, sondern daß sie erkämpft und vom Bürger eingefordert werden müßten. In der Entwicklung der HU wurde deutlich, daß die Zahl der Aktiven zwar inzwischen größer als am Anfang“ sei, aber immer noch relativ niedrig, die HU daher wenig Geld habe und daß der Preis „Aufrechter Gang“ deswegen kein Geldpreis sei, sondern einen ideellen Wert habe. Er bemerkte noch zu Helga Ballauf und ihren Schwierigkeiten ironischerweise, daß sie nun einen „sicheren Speicherplatz beim Verfassungsschutz als Ersatz für einen sicheren Arbeitsplatz“ habe.
Sophie Rieger schilderte in ihrer Laudatio, den persönlichen Weg der Preisträgerin und ihren Kampf um das Recht zur Information über gespeicherte Daten. Es begann am 18.5.89, am Tage der Beerdigung von Hermann Höcherl. Der AssociatedPress-Journalistin Helga Ballauf wurde die Teilnahme an diesem Staatsakt mit der Begründung verwehrt, daß gegen sie etwas vorliege. Auf ihre Nachfrage gab es von Seiten der Behörde nur flotte Sprüche und geheuchelte Anteilnahme, aber keine genaue Information. Selbst ein beantragendes Führungszeugnisses brachte nichts, da es keine Einträge enthielt. Der Datenschutzbeauftragte Sebastian Oberhauser ließ zumindest durchblicken, daß sie beim Verfassungsschutz gelandet sei. Nachdem sie auch noch ihren Job verlor, reichte sie am 16.10.89 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht ein mit dem Ziel, daß die gespeicherten Daten publik gemacht werden sollten. Daraufhin bekam sie mit dem damaligen Staatssekretär des Innern, Beckstein, und dessen Ministerialdirigenten Schwindel (der Mann könnte gar nicht besser heißen!) Ärger; d.h.: zuerst wollte man die Klage im Vorfeld abwürgen und als dies nicht gelang, drohte man. Aufgrund einer Änderung des Bayerischen Datenschutzgesetzes vom 1.11.90 wurde es möglich, Mitte Juli 91 Einblick in die zur Last gelegten Beschuldigungen zu bekommen. Daraus ging u.a. hervor, daß Helga Ballauf in den Räumen der GIM (Gruppe Internationaler Marxisten) am 4.11.84 einen Vortrag über den Arbeitseinsatz einer GEW-Gruppe in Nicaragua gehalten hatte. Sie war daraufhin als linksextremistisch eingestuft worden und ihre Daten beim Verfassungsschutz gespeichert. Der Verfassungsschutz „übersah“ wohl dabei, daß diese Veranstaltung von der GEW ausging und auch in der Volkshochschule gehalten wurde. Wichtig war wohl nicht der Inhalt des Vortrags, sondern allein die Tatsache, daß Helga Ballauf dort vortrug. Am 19.11.92 entschied das Verwaltungsgericht München, daß die Speicherung ihrer Daten unrechtmäßig gewesen sei, wobei sie ohnehin am 10.6.92 gelöscht wurden. Aber damit war die Sache für die Preisträgerin noch nicht zu Ende. Die Landesanwaltschaft ging in die Revision, die aber keinen Erfolg hatte. Allerdings wurde das Speichern von Daten vom Bayerischen Verwaltungsgericht als durchaus legitim bezeichnet, falls verfassungsfeindliche „Bestrebungen“ beobachtet würden. Erschreckend blieb am Ende die Erkenntnis, daß Menschen nur aufgrund von Meinungen der Sachbearbeiter des Verfassungsschutzes ausspioniert werden dürfen. Sophie Rieger dankte Helga Ballauf nochmals für ihr Engagement und stellte am Schluß noch die Frage, was wohl passiert wäre, wenn ihre Kollegen sie unterstützt hätten. Die Auseinandersetzung hätte wohl nicht so lang gedauert.
Nachdem Helga Ballauf der Preis überreicht wurde, hielt sie noch eine kurze Dankesrede. Sie betonte, daß sie ihre Auseinandersetzung mit den Behörden nicht nur als eine persönliche Sache betrachte, sondern daß es ihr grundsätzlich um das Verhältnis von Individuum zur Gesellschaft ginge. Ihre Erfahrungen in Umgang mit Behörden faßte sie in drei Punkten zusammen. Sie erlebte Ohnmacht und Wut, als ihr jede Auskunft darüber verwehrt wurde, was über sie gespeichert. war. Sie erlebte Mißtrauen und Angst bei der Erkenntnis, daß jemand aus ihrem Umkreis (Dritte Welt Arbeit, gewerkschaftliches Engagement, friedenspolitische Arbeit) Zuträger des Verfassungsschutzes gewesen war und sie ertappte sich bei Rückzugstendenzen, als ihr von Kollegen geraten wurde, sich doch weniger um politische als mehr um kulturelle Themen zu kümmern. Am Schluß zitierte sie noch ein Gedicht der Nicaraguanerin Gioconda Belli „Niemand sucht aus“.
Die Veranstaltung endete mit einer Diskussion zum anfangs genannten Thema „Mut vor Thronen … “ zur Reflexion des Problems der Freiheit des Journalisten. Bezeichnend für die Gesamtsituation war bereits, daß die zwei eingeladenen Journalisten nicht erschienen. Julian Gyger vertrat die konservative Einstellung, daß es in Bayern keine große Beeinträchtigung journalistischer Arbeit gäbe und nannte als Beweis die Berichterstattung Michael Stillers im Fall der Amigoaffäre. Gerd Tersteegen hielt dagegen, daß kleine unbekannte Journalisten nicht die Möglichkeiten eines Stillers hätten. Dieter Lattmann wies daraufhin, daß wir in der BRD zurzeit im „tiefsten Loch der Pressefreiheit“ seien und im Fall Ballauf Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, die nicht zu rechtfertigen seien. In diesem Zusammenhang fiel auch die These von „der Schere im Kopf des Journalisten“.
Abschließend war zu sagen, daß diese Preisverleihung auf große Resonanz stieß. Problematisch blieb der Punkt, daß durch Preisverleihungen an Einzelpersonen die gegenwärtige politische Lage ‚individualisiert‘ werde, statt daß sich mehr Interessensgemeinschaften bilden.
joe von den Münchner Lokalberichten
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