Festakt zur Preis­ver­lei­hung an Gerti Kiermeier

27.10.1997

 

Zum 9. Mal wurde am 27.10.1997 der Preis „Aufrechter Gang“ des OV München vergeben, diesmal an Gerti Kiermeier aus Umholzing/N.Bayern. Damit drückte die HUMANISTISCHE UNION der Preisträgerin ihre Anerkennung für die Entschiedenheit aus „mit der sie auf der Respektierung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit besteht. Wir sehen darin einen Akt des Widerstandes gegen die Tendenz, diese die Meinungsfreiheit unter Berufung auf einen besonderen Erfurchtsanspruch staatlicher Einrichtungen zu beschränken“.
Hinter diesem Widmungstext verbirgt sich eine für die real existierende bayerische Gesellschaft typische Geschichte: Gerti Kiermeier hatte 1989 vor einem Stand der Bundeswehr ein Transparent mit dem Text „Soldaten sind potentielle Mörder“ hochgehalten, weil sie die dort verbreiteten Informationen als Verharmlosung des Soldatenhandwerks empfand. Die prompt erfolgte Beleidigungsklage von drei anwesenden Soldaten wegen „Beleidigung“ führte über zwei Instanzen zum BVG, das der Preisträgerin am 25.08.1994 recht gab und feststellte, daß auch eine als scharf und überzogen empfundene öffentliche Kritik durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt ist. Anderswo hätte diese Entscheidung den Streit beendet, jedoch nicht so in Bayern. Das Urteil wurde ignoriert und Gerti Kiermeier weiterhin der fällige Freispruch verweigert. Der Weg führte prompt zurück nach KA, dessen zweites Urteil noch aussteht. Warum sich die Preisträgerin so konsequent verhält, wurde aus ihrer Dankesrede deutlich: Sie hat als Mitglied der „Deutschen Friedensgemeinschaft“ (DFG-VK) viele Diskussionen geführt, aus denen ihr klar wurde, daß man gegen den Kreislauf von Rüstungsproduktion, Waffenexport, weltweit unterhaltenen Armeen und dem von diesen erzeugten politischen Handlungsdruck (sofern nicht ohnehin alles in den gleichen Händen liegt), sowie die offizielle Verharmlosung dieser Zusammenhänge ständig angehen muß, um die Lethargie zu bekämpfen, die das Elend dieses Jahrhunderts mit verschuldet hat. Und das Engagement, das Gerti Kiermeier seit einigen Jahren in das Katastrophengebiet auf dem Balkan geführt hat, bestärkte sie nur in ihrer Haltung.
Wie schwierig aber der Kampf wirklich ist, mit der sie das Recht ihre Meinung öffentlich zu äußern einfordert, das sagte sie selbst so: „Wo ich oft aufgeben wollte, das war am Ende der Gerichtsverhandlungen. Ich hatte mich mit Freunden und meinem Rechtsanwalt Frank Niepel intensiv vorbereitet, jedes Wort überlegt, damit der Richter es nur ja nicht mißverstehen konnte, habe ich in langen Verhandlungen erklärt, begründet, belegt, um dann in der Urteilsbegründung zu erfahren, daß mir die Worte im Munde umgedreht wurden und der Richter nichts verstanden haben wollte“.
Auch die Laudatio von Christine Roth-Schanderl zeichnete diese Geschichte nach. (Sie selbst stand ja als Schülerin im Mittelpunkt ähnlicher Grotesken, als sie wegen der Weigerung eine „Stoppt Strauß“ Plakette abzulegen in die Fänge der bayerischen Justiz geriet.) Sie setzte sich mit den Bemühungen der Bundestagsmehrheit auseinander, die als Folge der BVG-Urteile einen besonderen Ehrenschutz für Soldaten etablieren will. Ihr Rückblick auf die Geschichte der deutschen Militärgerichtsbarkeit mit ihrem bis heute unwiderrufenen zehntausenden von Todesurteilen im letzten Krieg, sowie die ebenso rigorose Verfolgung der zivilen Kriegsgegner war eindrucksvoll und ließ die Vermutung aufkommen, daß sich zwischen der damaligen und der heutigen Geisteshaltung keineswegs der radikale Bruch auftut, der in den offiziellen Reden aus unserer Zeit gelegentlich beschworen wird.
Hier schloß sich der Bogen wieder mit der Absicht der HUMANISTISCHEN UNION, durch die Preisvergabe an das Grundrecht auf Äußerung auch unpopulärer Meinungen zu erinnern. Daß dies ein alter Kampf ist, zeigte der Berichterstatter in seiner Einführung durch die Erinnerung an Bertrand Russel, dem im Sommer 1940 wegen seiner pazifistischen Ansichten eine Gastprofessur am City College in New York verweigert wurde. Er schrieb am 26.04.40 in der New York Times: „Es ist ein wesentlicher Zug der Demokratie, daß mächtige Gruppen und selbst Mehrheiten  gegenüber anders denkenden Gruppen – und seien sie noch so klein – Toleranz üben, wie sehr ihnen deren Ansichten auch zuwider sein mögen. In einer Demokratie müssen die Menschen lernen, dieses zu ertragen“. Das ist der präzise Sinn des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung.
Die gelungene Veranstaltung endete mit einem Zusammensein von Mitgliedern und Sympathisanten der Humanistische Union in freundlicher und angeregter Atmosphäre.

Weitere Informationen:
Laudatio von Christine Roth-Schanderl
Rede der Preisträgerin Gerti Kiermeier
Ankündigung und Begründung der Preisvergabe

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