Festakt zur Preis­ver­lei­hung an Siegfried Krempl

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Jedes Jahr macht sich der Ortsverband München der Humanistischen Union (HU) auf die Suche nach der seltenen Kakteenart „Kaktus Bavaria“. Aufrecht soll er gehen, mit seinen Stacheln in die faulen Stellen der Demokratie pieksen und auf sie aufmerksam machen. Grundgesetz unterm Arm, dessen Inhalt im Kopf, sind weitere Eigenschaften.

Dieses Jahr fand sich ein entsprechendes Exemplar in der Gestalt des 33-jährigen Siegfried Krempl, Siggi gerufen, Polizist in München und Mitglied der „Kritischen“. Gute zwölf Jahre brauchte er seine Stacheln zu entwickeln, und seit vier Jahren sind sie hart. Entsprechend setzt er sie ein: Kolleginnen und Kollegen weist er auf ausländerfeindliches Verhalten hin, frauenverachtendes Verhalten ist ihm ein Greuel, rechtsradikale Tendenzen innerhalb der Polizei verschweigt er nicht.

Natürlich haben seine Vorgesetzen versucht, ihm die Stacheln zu ziehen. Disziplinarverfahren en masse; neuerdings soll er sogar „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ geleistet haben, nur weil er nicht glauben wollte, daß ein friedlicher Mensch, festgenommen wegen Diebstahlsverdacht, freiwillig in einen Spiegel springt! Weitere Stacheln sprossen, als er im Aktionsbündnis „Wer schützt uns vor dem Staatsschutz“ aktiv wurde. Auch in der Arbeitsgemeinschaft Kritischer Po1izisten spüren wir seine Stacheln: Lange Diskussionen über seine Vorstellungen zur Gewalt, mit seinen Thesen zur Organisierten Kriminalität können sich viele nicht anfreunden.

Am 16. Oktober 1991 wurde der Kaktus der Öffentlichkeit vorgestellt. Feierlich enthüllt vom Vertreter der Münchner HU, Prof. Wilhelm Hering. Der Botaniker Klaus Hahnzog, Landtagsabgeordneter der SPD, beschrieb die Spezies genauer. Freunde dieser seltenen Kakteenart waren gekommen und diskutierten mit ihm und anderen über das Thema „Diener zweier Herren: die Polizei zwischen Obrigkeit und Bürger“. Leider hatten die Vertreter der Stoiber-Fraktion und unserer größten Berufsorganisation anscheinend Angst vor der öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema und fehlten. So war es wieder eine vertraute Runde von Gleichgesinnten. Somit wurden Siggis Stacheln an diesem Abend weitestgehend geschont. Wir ließen es uns aber nicht nehmen, das seltene Pflänzchen bis zum Morgen zu begiessen.

Kurz noch die Standorte der restlichen „Kaktus Bavaria“, Einer in Wackersdorf; Irmgard Gietl reizte mit ihren Stacheln die WAA; Magdalena Federlin aus Memmingen ließ die ihren für ihr Eintreten auf straffreien Schwangerschaftsabbruch spüren, und Hannes Fischer hinterließ bleibende Spuren in Mutlangen und anderen Orten, weil ihn die Raketenspitzen zwickten. Hannes konnte leider nicht kommen, weil die bayerische Justiz ihn zur Zeit in Verwahrung hat.

Persönlich hat mich gefreut, schon längst verschollen geglaubte Kakteenliebhaber aus den Reihen der „Kritischen Polizisten“ zu treffen. In den Wochen nach der Preisverleihung haben sich einige Kolleginnen und Kollegen bei Siggi gemeldet, die ihm insgeheim zustimmen. Da das Bayerische Kakteenvernichtungskommando aber sehr schonungslos gegen die Stacheln in ihrer Mitte vorgeht, ist es verständlich, daß sich diese Kolleginnen und Kollegen noch zurückhalten. Durch den Preis ist auch die Frauenbeauftragte der Münchner Polizei auf Siggi aufmerksam geworden. Es haben bereits einige Gespräche stattgefunden.

Noch ein Wort an die Vertreterinnen und Vertreter der Obergattung „Kaktus Germanikus“: Haltet Eure Stacheln spitz und setzt sie ein; nicht das wir eines Tages auf der Roten Liste der aussterbenden Demokraten stehen!
Reinhard Borchers in Unbequem 8, Dez. 91

 

Weitere Informationen:

Ankündigung und Begründung der Preisvergabe

Rede von Siegfried Krempl

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