Judith Bernsteins Danksagung

Judith Bernstein ©G. Gerstenberg

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Ich möchte mich bei der Humanistischen Union und vor allem bei Heide Hering, Helga und Wolfgang Killinger, Wolfgang Stöger und Dr. Hansjörfg Siebels-Horst für die Verleihung des Preises „Der Aufrechte Gang“ an meinen Mann und mich bedanken. Wir wissen, dass gerade die diesjährige Preisverleihung viel Mühe bereitet hat. Nachdem die Durchführung der Veranstaltung in städtischen Räumen untersagt worden ist, haben Sie, lieber Herr Killinger, unermüdlich weitergesucht und sich für diese Preisverleihung eingesetzt. Auch bei unserem Laudator Dr. Tilman Spengler möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Schon seit vielen Jahren unterstützt Du, lieber Tilman, unsere Arbeit sowohl in Sachen Stolpersteine als auch in der Suche nach einer Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern.

Ich freue mich, dass so viele Freunde und Bekannte heute hier sind, um mit uns zu feiern. Besonders freue ich mich, dass unsere Tochter Shelly Steinberg extra aus Tel Aviv angereist ist. Ihr könnt Euch vorstellen, dass Shelly, die politisch regierungskritisch eingestellt ist und mich quasi von links überholt hat, es in Israel nicht leicht hat. Für ihre Haltung wurde sie von einem rechten Israeli sogar körperlich angegriffen, als sie 2014 an einer Demonstration gegen den Krieg im Gazastreifen teilnahm.

Auch unsere Tochter Sharon Blumenthal und unser Schwiegersohn Eric Blumenthal aus Köln engagieren sich sowohl bei den Themen Stolpersteine als auch beim Nahostkonflikt und waren uns immer eine große moralische Unterstützung. Unsere Enkelin Talja war mit drei Jahren bei der Verlegung der Stolpersteine für ihre Ururgroßeltern im Harz dabei und hat in ihrer Schule Geld für eine Klasse in Gaza gesammelt. Auch unsere Enkelin Edna hat bereits mit ihrer Familie die Patenschaft für drei Stolpersteine in der Straße übernommen, in der die Familie wohnt. Danke, dass Ihr alle heute bei uns seid!

Stolpersteine und Nahostkonflikt – zwischen diesen zwei Polen bewegt sich mein politisches Leben. Die Stolpersteine stehen für meine Familie, meine Herkunft. Für meine Großeltern, die 1943 aus Erfurt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden, und für meine Eltern, die 1935 aus Deutschland fliehen mussten. Sie konnten nach Palästina entkommen, nachdem kein anderes Land sie aufnehmen wollte. Sie waren weder religiös, noch waren sie Zionisten und wussten nichts von Palästina – das Land war ihnen vollkommen fremd. Das galt auch für die Menschen, die sie antrafen, für die Kultur und für die Sprache.

Von den sogenannten Sabres, den in Israel Geborenen, wurden sie, die Jeckes (so nannte man die Juden, die aus Deutschland kamen) belächelt, weil sie so deutsch, so korrekt waren. Wegen ihrer deutschen Sprache wurden sie bisweilen sogar als Nazis beschimpft. Ihre Sehnsucht nach Deutschland mit den grünen Wäldern, den Bergen und dem vielen Wasser haben sie auf uns Kinder übertragen. So fühlte ich mich auch fast zuhause, als ich vor 50 Jahren als Stipendiatin der Stadt München erstmals nach Deutschland kam. Es war mein Vater, der mir mit auf dem Weg gab, dass es an meiner Generation sei, sich mit den jungen Deutschen zu versöhnen.

Schon damals in den 1960er Jahren habe ich den starken Patriotismus und Nationalismus abgelehnt und meinte, in ein Land zu kommen, wo es so etwas aufgrund der „jüngsten Vergangenheit“ nicht gebe und geben dürfe. Aus heutiger Sicht ziemlich naiv, aber diesen Eindruck habe ich mit vielen ausländischen Studenten in München geteilt. Gerade heute, wo der Nationalismus allerorts wieder erstarkt, sind Projekte wie die Stolpersteine als Zeichen der Erinnerung so immens wichtig. Bei den vielen Verlegungen, an denen ich teilgenommen habe, kam immer wieder die Sprache auf München – keiner konnte das hiesige Verbot nachvollziehen.

Der Nahostkonflikt ist eigentlich eine Fortsetzung meiner Familiengeschichte. Meine Eltern fanden in Palästina einen Zufluchtsort. Aber gleichzeitig wissen wir, dass dadurch auch neues Unrecht entstand. Es waren aber gerade deutschsprachige Juden, die aufgrund ihrer bitteren Erfahrungen mit Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit im Deutschen Reich, in Österreich sowie in der Tschechoslowakei und eben auch Menschen wie meine Eltern und ihre Freunde, die sich durchaus ein Zusammenleben mit den Palästinensern vorstellen konnten, denn – wie sie sagten, und das war ihnen klar – waren sie ja die Spätgekommenen.

Ich bin ohne Hass auf Araber aufgewachsen und hatte das Glück, einige von ihnen – vor allem christliche Palästinenser – durch das große Sportgeschäft meiner Eltern im Zentrum Jerusalems kennenzulernen. Das hat mich geprägt. Allerdings gab es im Alltag keine Kontakte zu ihnen, sie waren im Bewusstsein der Israelis einfach nicht vorhanden. Erst nach dem Sechstagekrieg konnte man sie nicht mehr ignorieren. Es war eine Zeit der nationalreligiösen Euphorie, und so interessierte sich auch dann keiner für die Bevölkerung auf der anderen Seite. Nach und nach wurde uns aber bewusst, was Besatzung bedeutet – Unterdrückung, Demütigung und Schikane.

In keinem anderen Ort spiegelt sich die Brutalität der Besatzung so wider wie in meiner Geburtsstadt Jerusalem, wo Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben werden, um Platz für Siedler zu schaffen. Jerusalem ist das Herzstück des Konflikts, und das Herzstück von Jerusalem ist der Tempelberg, das Noble Heiligtum („Haram Al-Sharif“).

In Jerusalem bündeln sich alle Facetten des Konflikts. Deshalb ist für die Palästinenser dieser Ort ein Symbol der Besatzung und der Ungerechtigkeit. Gerade in der letzten Zeit, nach der Ankündigung Donald Trumps, Jerusalem als die alleinige Hauptstadt Israels anzuerkennen und die Botschaft bis 2019 nach Jerusalem zu verlegen, konnten wir erleben, was für eine zentrale Bedeutung diese Stadt für die Menschen hat. Diese Ankündigung ist ein Affront nicht nur gegen die Palästinenser, sondern gegen die gesamte muslimische und freie Welt. Ohne eine Lösung für Jerusalem wird es keinen Frieden geben. Auf Ostjerusalem, Al-Quds – die Heilige –, werden die Palästinenser nie verzichten.

Bei jedem unserer Besuche haben mein Mann und ich festgestellt, wie sich die Situation verschlechtert hat. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, Angehörige der Friedensgruppen auf beiden Seiten zu unterstützen, so die Frauen von Machsom Watch, die ich bei meinen Besuchen an den Checkpoints begleite, oder die Combatants for Peace – ehemalige israelische Soldaten und palästinensische Freiheitskämpfer, die der Gewalt abgeschworen haben und sich gemeinsam für das Ende der Besatzung und für Frieden einsetzen.

Unsere wichtigste Verpflichtung sehen wir allerdings darin, hier in Deutschland die Menschen zu sensibilisieren, indem wir über die Situation vor Ort berichten. Auch versuchen wir schon seit Jahren, in Berlin unsere Politiker davon zu überzeugen, endlich politischen Druck aufzubauen, um den politisch und moralisch unhaltbaren Zuständen ein Ende zu bereiten. Sie, liebe Gäste, können sich vorstellen, wie enttäuscht und frustriert wir aus vielen Gesprächen gekommen sind. Wir wissen, dass man in Berlin die Situation gut genug kennt, aber man denkt nicht über Alternativen nach, die den Frieden fördern. Wie oft haben wir uns eingestehen müssen, dass wir nichts erreichen, und doch wussten wir, dass man die Menschen vor Ort, die noch immer zusammenarbeiten und an eine Zukunft für beide Völker glauben, nicht allein lassen darf.

Wie wir gerade in den letzten Monaten gesehen haben, spielen solche Überlegungen im Münchner Stadtrat keine Rolle. Viel wichtiger scheint es zu sein, sich nicht mit der Israelitischen Kultusgemeinde anzulegen. In einer Presseerklärung lobt Charlotte Knobloch beim Stadtrat die Verabschiedung des Antrags gegen die BDS-Kampagne. Ihr besonderer Dank „gilt den Stadträtinnen und Stadträten, die den Antrag initiiert und ihre Kolleginnen und Kollegen überzeugt haben, diesen mitzutragen“.

Nach dem Beschluss des Stadtrats habe ich an Oberbürgermeister Dieter Reiter einen Brief geschrieben, in dem ich dargestellt habe, warum ich mich engagiere, und ihn darum bat, den Beschluss zu überprüfen, denn: Ich möchte in einer toleranten und friedvollen Stadt leben sowie meinen Töchtern und ihren Kindern in Deutschland und in Tel Aviv das Gefühl der Geborgenheit vermitteln. Vor einer Woche erhielt ich seine Antwort: „Der Beschluss trägt zu einem respektvollen, toleranten und friedvollen Klima innerhalb der Münchner Stadtgesellschaft bei…“

Ich halte es für extrem gefährlich, dass sich der Stadtrat eine undifferenzierte Interpretationshoheit vorbehält. Bei aller berechtigten Sorge um den wachsenden Antisemitismus ist doch gerade eine deutliche Differenzierung zwischen Israelkritik und Antisemitismus so wichtig. Die Auswirkungen von Pauschalverurteilungen bekommen wir nun unmittelbar zu spüren.

Denn ermutigt durch den Stadtratsbeschluss hat eine Gruppe, die sich „Münchner Bürger gegen Antisemitismus und Israelhass“ nennt, anonym ein Schreiben an Gaststätten wie das Stadtcafé, Ruffini und Dukatz verschickt, in dem sie diese Lokale auffordert, nicht die Türen für „Propaganda-Veranstaltungen zu öffnen“, gemeint ist hier ganz konkret für die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München. Die Verfasser des Schreibens rechtfertigen ihr Vorgehen ausgerechnet mit der Meinungsfreiheit: „Das höchste Gut einer humanistischen, demokratischen Haltung ist die Bewahrung der Meinungsfreiheit. Dies sollte in Deutschland selbstverständlich sein.“ Das Recht, sich kritisch mit der realen Politik des Staates Israel auseinanderzusetzen, fällt somit aus ihrer Sicht nicht unter die Meinungsfreiheit.

Diese Gruppe, hinter der hauptsächlich ein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde steht und nicht gebremst wird, schickt seit Jahren Diffamierungsbriefe an OB Reiter, beide Kirchenleitungen und andere Institutionen. Zuletzt hat sich die Gruppe auch an das Filmtheater Sendlinger Tor gewandt und mit Nachdruck darum gebeten, die heutige Veranstaltung im Kino abzusagen. „Organisieren Sie Veranstaltungen mit der BDS, können Sie ebenso die NPD unterstützen“, heißt es in ihrem Brief. Auch eine Akademie, die den Namen Janusz Korczak okkupiert hat, bedankt sich für den Beschluss des Münchner Stadtrats und fordert eine Erweiterung des Beschlusses: „Der grassierende Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik verschwindet nicht durch den Beschluss. Auch Vermieter von privaten Räumlichkeiten sollten sich ihrer Verantwortung für die Stadtgesellschaft bewusst sein.“ Die BDS-Bewegung soll verboten werden, aber geleichzeitig wird zum Boykott gegen uns aufgerufen – wie absurd. Umso mehr bin ich dankbar dafür, dass diese Preisverleihung heute hier stattfinden kann.

Wir sollen diffamiert und mundtot gemacht werden. Aber was ist das im Vergleich zu den Menschen, die in Palästina und Israel leben? Was bedeutet es, wenn Friedensgruppen, die täglich um den Rest von Demokratie und Rechtsstaat kämpfen und deshalb verunglimpft werden, hier in Deutschland nicht die Möglichkeit haben zu berichten, wie in der Evangelischen Akademie Tutzing vorgesehen – wo sie wieder ausgeladen wurden, weil man dem Druck nicht standhalten wollte?

Wir dürfen den Kampf für eine gerechte Lösung für beide Völker nicht aufgeben. Indem wir für die Rechte der Palästinenser kämpfen, kämpfen wir auch für die Israelis, denn es gibt keinen Frieden für Israel ohne einen Frieden für Palästina.

Deshalb appelliere ich auch heute an unsere Politiker in Berlin und in München: Es ist eine Illusion zu glauben, dass man das historische Unrecht an den Juden mit einem anderen Unrecht, dem an Palästinensern, „wiedergutmachen“ kann.

Herzlichen Dank

 

Sie können die Aufzeichnung der Danksagung hier nachhören (14:25 Minuten)

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